– 18.09.2019 –

Besuch im Zentralen Museum der Luftstreitkräfte der Russischen Föderation in Monino Russland

Dieses einmalige Museum befindet sich auf dem ehemaligen Militärflugplatz von Monino, eine gute Autostunde von Moskau entfernt. Es wurde nach Still-Legung des Flugplatzes 1960 eröffnet, ist aber erst seit 2001 frei zugänglich. Insgesamt sind gut 170 Flugzeuge ausgestellt, davon die meisten im Freien. Darunter befinden sich viele Raritäten und Prototypen der sowjetischen und russischen Luftfahrt, neben praktisch allen je zum Einsatz gelangten zivilen und militärischen Flugzeugmustern. Zwei Hallen beherbergen gut restaurierte Exponate aus der Frühphase der Fliegerei, sowie einige Warbirds aus der Zeit des Ersten und vor allem des Zweiten Weltkrieges.

Ein leichter frühherbstlicher Morgennebel liegt über der russischen Hauptstadt, als wir (mein Sohn und ich) von unserem Fahrer Alexandr und Dolmetscherin Ljuba vor dem Hotel abgeholt werden. Es ist dies Bestandteil einer von Moscow Free Tours organisierten Führung im Museum. In zum Teil abenteuerlicher Fahrt geht’s durch den Moskauer Morgenverkehr, jede Grossstadt hat ihre eigenen Verkehrsregeln. Alexandr nimmt’s gelassen, gibt kräftig Gas, braucht ab und zu die Hupe und hat ständig sein Handy in Gebrauch, das ihm auch zur Konversation mit uns dient: Er spricht russisch hinein, heraus tönt es englisch. Das Gleiche funktioniert auch in umgekehrter Richtung.

Moskau hat 12 Millionen Einwohner und so dauert es eine ganze Weile, bis wir die Aussenbezirke erreicht haben, wo riesige Wohnhäuser – eher ganze Städte – entstehen.

Schliesslich biegen wir von einer Landstrasse links in einen Wald ab und nach kurzer Fahrt stehen wir auf einem grossen Parkplatz, einige militärische Gebäude umgeben ihn. Wir sind in Monino.

Im Empfangsgebäude erwartet uns unser Guide Sergej, ehemaliger MiG 27 – Pilot (Schwenkflügel-Jagdbomber), ein agiler grauhaariger Pensionär in den frühen 70ern. Er spricht ausschliesslich russisch, wird aber von unserer Dolmetscherin Ljuba umgehend in druckreifes Deutsch übersetzt. In der früheren Sowjetunion war er für einige Zeit auf dem russischen Fliegerhorst Eberswalde in der DDR stationiert gewesen, wo die Russen sehr abgeschottet lebten und keine Gelegenheit hatten, sich Deutschkenntnisse anzueignen. Er führt uns in eine angrenzende, grosse Halle mit gut restaurierten Militärflugzeugen aus der Zeit vor und vor allem des zweiten Weltkrieges. Hier steht die berühmte Ilyushin Il-2 Sturmovik, ein Schlachtflugzeug, das dank schwerer Bewaffnung ein gefürchteter Panzerzerstörer war und in der Schlacht um Stalingrad grösste Bedeutung erlangte. Die Il-2 wurde so zum Symbol für den russischen Widerstand gegen Nazi-Deutschland und zu einer eigentlichen nationalen Ikone.

Wir machen Halt bei einem kleinen Tiefdecker, dem ersten russischen Kampfflugzeug mit Einziehfahrwerk. Dies musste vom Piloten nach dem Start mittels Handkurbel (42 Umdrehungen, wie Sergej lachend bemerkt) über ein Drahtseil mühevoll eingefahren werden. Die Rede ist von der Polikarpov I-16 „Rata“, einem Jagdflugzeug mit Sternmotor und halboffenem Cockpit, das trotz geschwindigkeitsmässiger Unterlegenheit dank seiner extremen Wendigkeit bei den Deutschen grossen Respekt genoss und viele Me-109 vom Himmel holte.

Die ganze Reihe der WW-2 Jäger von Jakowlew und MiG steht in einer Linie, eine sehr beeindruckende Vielfalt und alles sorgfältig hergerichtet. Dazu immer auch Dokumentation, teilweise zweisprachig (russisch/englisch). Auch eine Bell P63 Kingcobra, die während des Krieges von den USA in grösserer Anzahl an die Sowjetunion geliefert wurden, ist Teil der aufgereihten Maschinen. Dieser Typ, der bei den Amerikanern wegen schlechter Motorleistung in grösserer Höhe mässig beliebt war, wurde von den Sowjets unter rauhen und winterlichen Klimabedingungen mit grossem Erfolg gegen die Deutschen eingesetzt. Seine Besonderheit bestand in der Motoranordnung hinter dem Piloten, der Propellerantrieb erfolgte über eine lange Welle. „Amerikanski!“ bemerkt Sergej und nickt anerkennend mit dem Kopf.

Wir treten ins Freie und gelangen durch ein grosses Eingangstor auf das gigantische Ausstellungsareal.

Zur Linken türmt sich vor uns der riesige und grösste je gebaute sowjetische Hubschrauber Mil W-12 auf, der 1967 zu seinem Erstflug abhob und auch im Westen, an der Air Show in Paris (Le Bourget) vorgestellt wurde. Auf sein Konto gehen diverse, noch heute gültige Weltrekorde (105 Tonnen Startgewicht, 40 Tonnen Fracht), ein Koloss der besonderen Art. Es wurden nur 3 Prototypen fertiggestellt, zu einer Serienfertigung kam es nicht.

Zur Rechten steht der Bomber Tupolev Tu-4, ein massstabgetreuer Nachbau der amerikanischen B-29 Superfortress (Atombombenabwurf auf Hiroshima, Nagasaki), der – gegen den Willen der USA – aufgrund notgelandeter Original-Flugzeuge technisch möglich wurde.

Weitere Bomber aus dem Jetzeitalter von Tupolev folgen, darunter die Tu-16, die noch heute in einer chinesischen, stark modernisierten Variante bei den Luftstreitkräften Chinas im Einsatz steht.

Ausserdem wurde aus der Tu-16 durch Umgestaltung des Rumpfes das erste düsengetriebene russische Passagierflugzeug Tu-104 entwickelt, das der staunenden westlichen Bevölkerung unter anderem am Internationalen Flugmeeting in Dübendorf 1956 präsentiert wurde, was ich damals im Kindesalter mit eigenen Augen vom Wangenerberg aus mitverfolgen durfte. Das Flugzeug war auf dem Flughafen Kloten ausgestellt und auch von innen zu besichtigen. Es war operationell, bevor westliche Konkurrenten wie De Havilland Comet oder Boeing 707 im Liniendienst eingesetzt werden konnten.

Ein zweites Beispiel dieser Art stellte das Langstreckenverkehrsflugzeug Tupolev Tu-114 dar, das vom strategischen Turboprop-Bomber Tu-95 abgeleitet war, der noch heute im Einsatz steht und laufend modernisiert wird. Auch in diesem Fall wurde dies im Wesentlichen durch einen neu konstruierten Rumpf bewerkstelligt.

Vorbei an imposanten Versionen von MiG-25 und MiG-31 scheint der nächste Riesenvogel direkt von Jurassic Park hierher geflogen zu sein. Die Rede ist von der Suchoi T-4, dem russischen Pendant der – in Dayton Ohio ausgestellten – amerikanischen XB-70 Valkyrie, einem Ueberschallbomber mit Erstflug 1972. Zwar nur halb so gross wie die Valkyrie, betrug die projektierte Höchstgeschwindigkeit über 3‘000 km/h. Mit einer absenkbaren Nase versehen (analog Concorde, Tu-144 etc.), war nach erfolgtem Start die Sicht nach vorne nur durch ein Periskop möglich. Wenige Prototypen wurden gebaut, da die Kosten ins Unermessliche stiegen. Das Flugzeug bestand weitgehend aus Titan und extrem teuren Speziallegierungen, die wegen der Hitzeentwicklung bei hohen Geschwindigkeiten nötig waren.

„Man hätte es genausogut aus Gold bauen können…“ bemerkt Sergej augenzwinkernd. Zu jedem Flugzeugtyp hat er eine kleine Geschichte parat, immer mit trockenem Humor gewürzt. Ausserdem wird er selbst zum Flugzeug, spreizt seine Arme, dabei die Flügelpfeilung imitierend, legt sich mit passender Querlage in die Kurve und geht im Kreis herum, bewegt sich auf und ab…wir müssen

Tränen lachen und auch ihm selbst bereitet seine Vorführung offensichtlich grossen Spass. Immer aber stellt er auch wieder Zwischenfragen, um zu sehen, ob wir seine Erläuterungen denn begriffen haben, oder wie es um unser aviatisches Wissen steht. Eine interaktive Führung, bei der die Aufmerksamkeit nie nachlässt.

Wir betreten die nächste Halle mit exakt restaurierten Preziosen, Schwerpunkt 1. Weltkrieg und die Zeit danach. Beim Eingang steht ein riesiger, stoffbespannter Doppeldecker-Bomber aus dem Ersten Weltkrieg, der vom – 1919 nach der Russischen Revolution – in die USA emigrierten, berühmten Helikopter-Konstrukteur Igor Sikorsky gebaut worden war. Die Besatzung konnte während des Fluges auf den Flügeln herumspazieren, Motoren warten und Bomben abwerfen. Einige Jagdflugzeuge sind ausgestellt, unter anderem auch westliche Muster wie eine Sopwith Camel mit Rotationskolbenmotor, dessen Funktionsweise von Sergej detailliert erklärt wird. An einem russischen Muster zeigt er einen ausfahrbaren Kühler, der bei Ueberhitzung des Motors in den Fahrtwind positioniert werden konnte. Mehrere Experimentalflugzeuge sind ebenfalls zu sehen.

Wir begeben uns wieder ins Freie, vorbei an einer imposanten Sammlung sämtlicher Helikopter von Mil und Kamov, letztere berühmt durch ihr Koaxialrotor-Antriebskonzept. Auch in der Schweiz stehen Kamov-Helikopter für Schwerlasttransporte seit Jahren erfolgreich im Einsatz. Vom Kampfhelikopter über Schwer- und Schwerstlasttransporter ist alles vertreten. Auch der weltweit grösste und schwerste Helikopter Mil Mi-26 fehlt nicht.

In einer langen Reihe stehen alle Jets von Jakowlew, darunter die zweistrahlige Jak-25, ein Abfangjäger mit einer auffallend hässlichen, dicken Nase, bedingt durch das Radar mit grossem Durchmesser. Diese Maschine, die Sergej auch geflogen hatte, genoss in sowjetischen Pilotenkreisen die Bezeichnung „Schnupfenflieger“, der geschwollenen Nase wegen…

Es sind auch sämtliche Senkrechtstarter von Jakowlew präsent, bis hin zur Jak-114, der letzten Variante. Dieses Antriebskonzept wurde aber mittlerweile aufgegeben, ursprünglich war der Einsatz auf Flugzeugträgern vorgesehen. Inzwischen sind sie dort aber von Suchoi Su-27, 30 und 35 abgelöst worden, die dank ihrer hohen Antriebsleistung ohne Katapult über eine Rampe zu starten in der Lage sind.

Alle Jäger von MiG, von der berühmten MiG-15, die in Nordkorea noch immer im Einsatz ist, über MiG-17, MiG-19 hin zum wohl weltweit am meisten verbreiteten Jetfighter, der MiG-21 sind vertreten. Modernisierte Varianten (MiG-21 Lancer C) mit israelischer Elektronik fliegen übrigens immer noch in Rumänien. Es folgen die Schwenkflügler MiG-23 und MiG-27. Letztere wie erwähnt, das Muster, das Sergej über Jahre geflogen hatte und über dessen Flugeigenschaften er ins Schwärmen gerät. Dabei simuliert er wieder mit seinen zu Flügeln gewordenen Armen die verschiedenen Pfeilwinkel der Tragflächen bei Start, mittleren und hohen Geschwindigkeiten. Nicht fehlen darf natürlich auch die legendäre MiG-29 in verschiedenen Varianten und mehrere Prototypen davon. Bei diesem Kampfjet informiert er uns nebenbei über die – bekannterweise – herausragenden Eigenschaften der russischen Schleudersitze. Selber habe er nie aussteigen müssen.

Natürlich ist Suchoi mit der ganzen Palette an Jagdflugzeugen und Jagdbombern vertreten, auch ein Prototyp der eindrücklichen Su-35 steht neben uns im Gras. Die ganz aktuelle Suchoi-Parade wird an der MAKS in Schukowski präsentiert, deren Airshow wir am nächsten Tag besuchen werden.

Wir stehen vor der Tupolev Tu-144, dem russischen, um einiges grösseren Gegenstück zur britisch/französischen Concorde, der „Concordski“, die uns mit abgesenkter Nase fragend anschaut.

Leider ist an diesem Tag der Zutritt ins Innere nicht möglich. Aber auch von aussen ist der Anblick bestechend, fast schon etwas ausserirdisch. Wegen verschiedenster Probleme (Absturz in Paris, gigantischer Spritverbrauch etc.) war sie nur kurzfristig auf der Strecke Moskau – Almaty in Kasachstan im Liniendienst.

3 Stunden sind inzwischen wie im Flug vergangen, die Führung geht dem Ende entgegen. Im Hintergrund stehen noch die ganze Palette der Antonov-Transporter, die Beriev-Amphibien und so viele Leckerbissen mehr.

Allein, die Zeit reicht nicht aus, an einem Tag alles zu sehen, Schwerpunkte setzen ist gefragt. Man müsste noch einen zweiten Tag herkommen, den wir allerdings nicht haben, da am nächsten Tag ja die MAKS auf dem Programm steht.

Es reicht noch für ein Gruppenbild vor einer Su-35, dann nehmen wir Abschied vom liebenswürdigen Sergej, der uns einen einmaligen Tag beschert hat. Ein grossartiges Erlebnis, das jedem aviatikinteressierten Moskau-Besucher wärmstens empfohlen werden kann.

Alexandr wartet bereits auf dem Parkplatz und bringt uns durch das Moskauer Verkehrsgewusel sicher ins Hotel zurück. Der Dolmetscherin ist ein grosses Kränzchen zu winden, besser übersetzen geht nicht, ausserdem versorgt sie uns während der Rückfahrt mit vielen interessanten Informationen zu Moskau mit all‘ seinen vielen Sehenswürdigkeiten.

Text: Theo Huber, Fotos: Christian Huber