-12.07.2023-

Vom 11. bis 30. September 1989 hatten acht Mirage-Aufklärer-Piloten und sieben Hunter-Piloten Gelegenheit, systematisches Tiefflug-Training über dem Versuchsgelände der schwedischen Luftwaffe in Vidsel durchzuführen. Diese Kampagne wurde als Reaktion auf die immer zahlreicher werdenden Lärmreklamationen in der Schweiz initiiert.

Warum ist Tiefflug notwendig?

In Bericht des Bundesrates «Konzeption der militärischen Landesverteidigung vom 6.6.1966» wurde angeordnet: «Die Bekämpfung von Erdzielen ist die Hauptaufgabe unserer Flugwaffe». Die Ausrüstung unserer Flugzeuge Mirage IIIRS (Aufklärer) und Hunter (Erdkampf) erlaubte den Einsatz nur unter Sichtbedingungen. Die Bedrohung durch Sichtung feindlicher Bodenradars und Einsatz von Fliegerabwehrwaffen aller Art zwang unsere Kampfflugzeuge in tiefste Flughöhen. Unsere Luftwaffe verfügte über keine Anti-Radar-Lenkwaffen und nur rudimentäre Störsender zur Unterdrückung des Radars der gegnerischen Fliegerabwehr. Aus diesem Grunde waren unsere Hunter und Mirage-Aufklärer gezwungen, sich den Zielen im Tiefflug, unter Ausnützung des «Radarschattens» von Erhebungen im Gelände oder in Tälern anzunähern. Das war sehr anspruchsvoll und musste trainiert werden. Die Lärmbelastung in der dicht besiedelten Schweiz war zu gross und daher mussten Ausweichlösungen gesucht werden.

Tiefflug-Navigation mit Mirage IIIRS

Erstmals konnte das Gelernte und Geübte in unbekannter Topografie und Geografie überprüft werden. Diese Tiefflugkampagne in Schweden ermöglichte eine echte Standortbestimmung. Die Resultate waren erfreulich. Die Zielauffindung wurde auch im schwierigen, unbekannten Niemandsland schnell zur Routine. Mehr Training erforderten die Einsätze im Tiefstflug (50 Meter über Grund), die in der Schweiz nicht trainiert werden konnten. Die Kampagne war für die künftigen Fluglehrer der Milizpiloten ausserordentlich wertvoll. Sie brachte uns das «know how» für die Ausbildung und das Training sowie für weitere Kampagnen. Daneben stellte sich aber auch klar heraus, dass wir in einem wesentlichen Bereich der Einsatzbereitschaft weit hintendrein hinkten. Wir waren in Zukunft dringend darauf angewiesen, mit den Aufklärer- und Erdkampf-Piloten die

  • Technik des Tieffluges
  • Navigation im unbekannten Gelände

systematisch zu schulen, die Topografie auszunützen und damit – wenigstens teilweise – die fehlende Technologie der Flugzeuge zu kompensieren.

Die sechs Aufklärer-Piloten absolvierten total 80 Einsätze. TIKAS entspricht einem echten Bedürfnis der Aufklärerpiloten (Verbesserung der Kriegstauglichkeit), konnte aber in der Schweiz nicht geübt werden.

Erfahrungen aus der Flugpraxis

Der Tiefflug auf 50/30 m/GND war mit Geschwindigkeiten von 840 km/h bis 1000 km/h sehr anspruchsvoll und verlangte 100%-ige Fitness und Konzentration. Die Ermüdung im Flug war derart gross, dass pro Flug ca. 35 Min. im Tiefflug nicht überschritten werden sollten. Zwei Flüge pro Tag bedeuteten pro Pilot das Maximum. Der Tiefflug verlangte eine systematische und eingehende Flugvorbereitung (pro Flug mindestens zwei Stunden).

  • Teilnehmer an Kampagnen wurden durch die St Kdt selektioniert (Erfahrung im Flugdienst, mentale Bereitschaft zu Sonderleistungen, Fähigkeit als Pilot).
  • Die CH-Flugwaffe hatte grossen Nachholbedarf im Tiefflug. Es fehlte das Training unter 100 m/GND gänzlich und konnte durch andere Tätigkeiten nicht substituiert werden
    (z B Simulatoren).
  • Die Fähigkeit im Tiefflug war mitentscheidend für das Überleben im heutigen Szenario des Aufklärers und Erdkämpfers.
  • Es brauchte einen jahrelangen, systematischen Aufbau und vor allem Erfahrung, um zu überleben.

Inertialplattform INS

Die INS war für mich praktisch die einzige Navigationshilfe. Ein Ausfall im Training bedeutete Flugabbruch und man war nicht mehr fähig, den Auftrag zu erfüllen (safety). Die Eingaben in das Gerät vor dem Flug mussten fehlerfrei gemacht werden. Dabei diente die Navigationsprojektion NAPRO zur Kontrolle. Fehler wurden während des Fluges zu spät realisiert. Das «Handling» der INS musste möglichst «benutzerfreundlich» vorgenommen werden, damit das Manipulieren im Flug auf ein absolutes Minimum reduziert werden konnte (blinde Bedienung bei Kurswechsel).

Jede Manipulation oder Sichtkontrolle im Cockpit (head down) auf 50 m/GND mit hoher Geschwindigkeit stellte ein Risiko dar, und deshalb stieg man unbewusst höher. Ein Head-up Display wäre ein Segen gewesen.

Mirage III RS mit und ohne “Canards” / Hunter-Flügel im Vordergrund

Flughöhe 50 m/GND

Das konsequente und lange (10-20 Minuten) Navigieren auf 50 m/GND war eine anspruchsvolle, ermüdende Konzentrationsaufgabe. In unbekanntem Gelände auf 50 m/GND mit hoher Geschwindigkeit gab es fast keine Anhaltspunkte mehr zum Navigieren.

  • Der Blickwinkel beschränkte sich nur noch auf die Flugrichtung.
  • Die überflogene Streifenbreite reduzierte sich visuell auf 100 bis 200 Meter.
  • Anhaltspunkte waren nur noch quer zur Flugrichtung verlaufende Linien (Flüsse, Hochspannungsleitungen, Strassen) oder dreidimensionale Merkpunkte.
  • In flachem, unbekanntem Gelände war nur ein Navigieren von Auffanglinie zu Auffanglinie, verbunden mit Kurs und Zeit möglich.
  • Die INS war das A und O. Ohne INS im Tiefflug ein Ziel zu finden, schien mir fast unmöglich.
  • Flughindernisse: Sendetürme, Hochspannungsleitungen und Tierfarmen(!)

Treibstoff

Die «gefühlsmässigen» Erfahrungswerte im Treibstoffverbrauch, PAY – DUB 450 Liter oder Davos – DUB 300 Liter, nützen im hohen Norden nichts. Eine konsequente, präzise Petrolberechnung bei der Vorbereitung war also unabdingbar. Man musste auf den Parcours «fuel gates» legen, damit man sicher wieder zum Flugplatz kam. Diese Taktik bewährte sich.

Der «aufgemotzte» Mirage C70 (mit den Canards/Entenflügel) benötigte im Tiefflug ca. 5 % mehr Petrol, sodass am Ende eines Einsatzes ca. 100 – 150 Liter «fehlten».

Tiefflug-Navigation (Kampfprofile) mit Hunter

Für die Hunterpiloten stellten sich zusätzliche Probleme. Um einigermassen effektiv bei der Zielbekämpfung zu sein, mussten mindestens ein Viererverband (Doppelpatrouille eingesetzt werden. Die Navigationsinstrumentierung war sehr rudimentär und erlaubte nur einfachste Koppelnavigation nach Kurs und Zeit. Ein sehr intensives Kartenstudium war unabdingbar. Die Zielauffindung in unbekanntem Gelände im Tiefflug war sehr anspruchsvoll. Die Hunter mussten im gleichen (grossen) Trainingsgebiet von Vidsel Tiefflug und Zielauffindung trainieren wie die Aufklärer-Mirages.

Flugprogramm

  • Einführungsflug Doppelsteuer
  • Navigationsflug 300 m/GND, Solo
  • Navigationsflug 50/30 m/GND, Doppelsteuer
  • Patrouillenflug Flug 300/100 m/GND, mit Führerwechsel, Solo
  • Konturenflug 50/30 m/GND, Doppelsteuer
  • Patrouillenflug 50/30 m/GND, mit Führerwechsel, Solo
  • Kampfprofil-Einsatz Führer-Flz, Doppelsteuer
  • Kampfprofil-Einsatz Sohn-Flz, Solo
  • Reserveeinsätze als Wiederholungen gemäss Entscheid des Cheffluglehrers

Erkenntnisse aus dem Flugdienst HUNTER

  • Die theoretische Vorbereitung und das definierte Programm bewährten sich.
  • Für die zukünftigen Fluglehrer waren diese Flüge eine optimale Vorbereitung.
  • Die Doppelsteuerflüge waren sehr ausbildungswirksam und erhöhten die Flugsicherheit. Das Anspruchsniveau konnte situativ angepasst werden und ermöglichte das Sammeln von Erfahrungen.
  • Für diese Art der Navigation erwies sich der Nutzen des Gyrosyn (Kurskreisel-Instrument) als «relativ» gering. Diese Erkenntnis zwang zur Benützung der vorbreiteten Landmarken als «Navigations-Bojen».
  • Das Ablesen der Borduhr war in Turbulenzen eher schwierig.
  • Das Ausnützen des Terrains im Endanflug zum Ziel musste auswendig memorisiert werden, da im Tiefstflug auf 50 m/GND eine Kartenkonsultation unmöglich war.

Einsatz-Flugstunden

HUNTER – Einsitzer            80.45 h

HUNTER – Trainer              84.41 h

MIRAGE – Aufklärer            59.12 h

Auf Grund politischer Bedenken blieb es aber bei einer einmaligen Kampagne. Grüne Politiker hatten in Bern etwas von «Lärmexport» geschwafelt.

Der Fall der Mauer in Berlin im Herbst 1989 bewirkte rasch eine Neubeurteilung der «Bedrohung» aus Nordosten. In Europa (und der Schweiz) spekulierte man auf eine zehn Jahre dauernde «Vorwarnzeit» für den unwahrscheinlichen Fall eines terrestrischen Angriffs. Eine Armeereform jagte die nächste (Armee 95, Armee XXI, Entwicklungsschritt 08/11). Die Armeeführung schwadronierte von «Aufwuchs» und reduzierte die Bestände und VIEL Material auf unverantwortlich kleine Grössenordnungen.

1994 verzichtete die Luftwaffe auf ihre «Erdkampf»-Fähigkeit (Unterstützung der Feldarmee) und die Hunter-Flotte wurde stillgelegt, 1999 folgten die Mirage IIIS – Jagdflugzeuge und 2003 die Mirage IIIRS-Aufklärer.

Bildergalerie:

Text und Fotos: Rudolf Wicki, Oberst a D


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