-22.11.2023-

1. Geschichtliche Entwicklung des Helikopter-Einsatzes in der CH Luftwaffe

Am 22. Dezember 1952 führte der Zivilpilot Sepp Bauer in Davos mit einer Hiller 360 die erste Helikopter-Rettungsaktion in der Geschichte der Luftrettung durch (er war später Fluglehrer der ersten Helikopter-Militärpiloten). Der Helikopter wurde mit einem unten angehängten Ballonkorb zum Transporter der Verletzten ausgerüstet. Am 25. Dezember meldete Dr. Rudolf Bucher, Leiter der Rettungsflugwacht, über Radio Beromünster die Einsatzbereitschaft von Fallschirmspringern (!) und Helikoptern.

Hiller UH-12B

Im Herbst 1952 beschafften die Fliegertruppen bei einer Privatfirma in den USA zwei Hiller UH-12B, und diese wurden mit gutem Erfolg zur Kampffeld- und Artillerie-Beobachtung eingesetzt. Ein dritter Hiller wurde als Ersatz für die verunfallte KAB-201 im Februar 1956 der Firma Bührle als Occasion abgekauft und integriert.

Sud-Aviation S.O. 1221 S Djinn

Am 15. Februar 1957 beschloss das Parlament die Beschaffung von Helikoptern in Frankreich. Mit der Bestellung der ersten 10 Sud Aviation Alouette II 1958 war auch die Beschaffung von vier zweiplätzigen Djinn verknüpft. Die ersten drei Exemplare kamen im Frühjahr 1958 zur Luftwaffe. Diese Helikopter waren speziell für das Autorotationstraining der Alouette II-Piloten vorgesehen. Die technische Besonderheit liegt im Antrieb des Rotors. Das Triebwerk, der Rotorkopf und die -blätter sind so konstruiert, dass sie von der Druckluft eines Turboméca Triebwerks angetrieben werden können. Der Gasgenerator komprimiert die Luft, die anschliessend durch die hohlen Rotorblätter in die an den Rotorblattspitzen gelegenen Düsen gepresst wird und dadurch den Rotor in Bewegung setzt.

Sud-Aviation SE.3130 Alouette II

Aus den Truppenversuchen ging die Alouette II als Sieger hervor. Nach der Beschaffung wurden die 30 Exemplare vor allem für die Schulung eingesetzt. Die letzten Helis wurden im Frühling 1964 abgeliefert.

Sud-Aviation SE.3160 Alouette III

  • 1964 sind die ersten neun Alouette III inkl. Logistik für 10.5 Mio. CHF beschafft worden. Bereits am 7. Juli kam es zu einem ersten Rettungseinsatz für die Alouette III. Zwei Soldaten einer abgestürzten Seilschaft blieben im Bergell schwer verletzt liegen und mussten im hohen Schnee schnellstmöglich geborgen werden.
  • 1966 wurden 15 weitere A III in Frankreich beschafft.
  • Die dritte «Tranche» von 60 A III wurden im Eidgenössischen Flugzeugwerk (F+W) in Emmen unter Lizenz gebaut und zwischen 1972 und 1974 abgeliefert. Die Flotte umfasste total 84 Helikopter.
  • 1992 rüstete man die A III V-272 mit einem Nachtsichtgerät «Night Vision Goggels» und dem entsprechenden Cockpit aus.
  • 1996: Die erste Forward Looking Infra Red «FLIR» (Infrarot-Kamera) wurde von der REGA übernommen und kam ab 1997 an der Alouette III zum Einsatz. Bei der ersten FLIR-Personensuche wurde ein vermisster Snowboarder im Kanton Obwalden gefunden.
  • Per Ende 2010 sind die letzten Alouette III ausser Dienst gestellt worden.
  • Die Alouette III waren total 316’000 Stunden in der Luft.

Bis zur Ausserdienststellung der Alouettes hatte unsere ganze «Helikopter-Community» (Piloten, GRD, F+W, RUAG und BAMF) pionierhafte, unermüdliche und kreative Arbeit geleistet und aus dem einfachen, aber robusten Flugmaterial das Maximum herausgeholt. Die Armee- und Luftwaffenführung bewertete bis Mitte der 80er Jahre alle Rüstungs-Investitionen nur nach der Effizienz von Schall und Rauch. Die Feldarmee postulierte aber immer eindringlicher die Beschaffung eines mittleren Transporthelikopters (rascher Truppentransport).

Eurocopter AS 332M1 Super Puma          

Mit dem Rüstungsprogramm 1986 (endlich) wurden die ersten drei Eurocopter AS 332M1 Super Puma beschafft und in Dienst gestellt. Kaum war die erste Maschine im Sommer 1987 ausgeliefert, wurde die Schweiz von schwersten Unwettern heimgesucht. Bei erfolgreichen Hilfseinsätzen in den Kantonen Uri, Graubünden und Wallis erwies sich der Super Puma als wirkungsvolles Transportmittel. Ohne diesen leistungsstarken Helikopter wären die Transporte von Baumaschinen, Geniematerial usw. nicht innerhalb der notwendigen Zeit möglich gewesen. Als Folge dieser positiven Erfahrungen wurde die Flotte mit dem Rüstungsprogramm 1989 um weitere zwölf Einheiten aufgestockt. Die Nachfrage für Super Puma-Einsätze stieg sprunghaft an. Der neue Transporthelikopter bewährte sich bei den verschiedensten Truppeneinsätzen und wurde auch bei friedenserhaltenden und friedensfördernden Aktionen zum unentbehrlichen «Arbeitstier».

Im Rahmen des Rüstungsprogramms 06 wurde die Super Puma Flotte einer «Werterhaltung» unterzogen. Diese Modernisierung umfasste ein modernes Flight Management System (FMS), zwei Global Positioning Systeme (GPS), ein Trägheitsnavigationssystem, ein modernes digitales Kartensystem, Datenaufzeichnungsgeräte, ein Anti-Kollisionswarnsystem «TICAS» sowie neue Funksysteme (Polizeifunk, Crypto und Satellitenübermittlung), einen starker Suchscheinwerfer, Integration des Infrarot-Suchgeräts (FLIR) und das Helmvisier für die Piloten.

Eurocopter AS532UL Cougar Mk1

Mit dem Rüstungsprogramm 1998 wurden 12 Eurocopter AS532UL Cougar Mk1 beschafft.

Diese Helikopter waren und sind für die verschiedensten Zwecke im Einsatz:

  • Zahlreiche grosse Feuerlöschaktionen (Waldbrände) in der Schweiz
  • Katastrophenhilfe im In- und Ausland (Galtür, Gondo, Bondo usw.)
  • Seit Oktober 1999 beteiligt sich die Schweizer Armee mit der Swisscoy an der multinationalen Friedensförderungsmission der Kosovo Force (KFOR) im Kosovo.
  • Vom 15. Januar bis zum 27. Februar 2005 waren drei Super Puma im Rahmen der humanitären Hilfsaktion in Sumatra nach dem verheerenden Tsunami im Einsatz.
  • Mit drei Super Puma Löscheinsätzen bei Waldbränden in Griechenland
  • Löscheinsätze bei Waldbränden in Israel und Portugal
  • Personensuche mit Infrarotgerät und Nachtsichtgeräten (Night Vision Goggles)
  • Unterstützung der REGA bei Rettungseinsätzen
  • Truppen- und Materialtransporte für die Armee
  • Evakuationen nach Lawinenniedergängen im In- und Ausland
  • Hilfe für die Zivilbevölkerung, z.B. Wassertransporte

Mit der Armeebotschaft 2018 beantragte der Bundesrat ein «Werterhalt-Programm» zur Modernisierung der Cougars vom TH 98 zum TH 18. Die Modernisierung umfasste unter anderem ein neues Flugmanagementsystem (FMS), präzise Satellitennavigation für den Instrumentenflug sowie ein Anti-Kollisions-Warngerät «Traffic Alert and Collision Avoidance System» (TCAS). Ergänzt wurde die Ausrüstung mit einem Helmdisplay für die Piloten, Funkgeräten der neuesten Generation und Satellitentelefonen sowie dem Selbstschutzsystem ISSYS, das vor der Erfassung mit Radar- oder Laserstrahlen, sowie vor dem Beschuss mit Raketen warnt und Gegenmassnahmen mit dem programmierten Ausstoss von Chaff und Flares ermöglicht.

Beim Vergleich der Frontansicht sind die verschiedenen Sensoren und Antennen gut sichtbar (Bild links Cougar, Bild rechts Super Puma).

2. Helikopter im realen Einsatz

Der tiefste Luftraum «gehörte» im Einsatz schon immer den Helikoptern. Die Alouettes waren nur sehr beschränkt «instrumentenflugtauglich» und bewegten sich daher immer im Sichtflug. Im taktischen Einsatz suchten die Piloten im «Konturenflug» (englische Bezeichnung «nap of the earth») Schutz vor gegnerischer Sichtung durch Radar oder Truppen. In unserer Topografie und in der «kabelverseuchten» Umwelt war das eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Ausser dem akribischen Kartenstudium und höchster Flexibilität gab es für die Piloten keine Hilfsmittel für einen erfolgreichen «Gelände-Folge-Flug».

Auch nach dem Ende des Kalten Krieges und der umfassenden Erneuerung der Helikopter-Flotte erfolgte der Einsatz grösstenteils unterhalb 500 m/Grund. Die Super Puma und Cougar sowie die EC-635 sind zu 100% instrumentenflugtauglich (Militär- und Zivil-Zulassung) und verfügen über die entsprechenden Navigationsinstrumente. Diese Ausrüstung vergrösserte die Einsatzmöglichkeiten enorm.

ALBA

Im März 1999 erbaten die Regierungen Albaniens und Mazedoniens ein internationales humanitäres Eingreifen, nachdem grosse Flüchtlingsströme kosovo-albanischer Zivilbevölkerung in diese Länder gekommen waren und die NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien begonnen hatten. Der Bundesrat ordnete am 1. April 1999 militärische Hilfe zur Unterstützung des primär helfenden Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) und des UNHCR an.

Der Auftrag der Task Force ALBA: Versorgung von Flüchtlingslagern im Auftrag des UNHCR. Die Basis des Schweizer Detachements war der internationale Flugplatz Rinas der albanischen Hauptstadt Tirana. Der Flug dauerte rund 35 Minuten, und die Schweizer Piloten flogen aus taktischen Gründen den Endanflug im Tiefstflug. Auf den letzten 15 Kilometern waren die Helikopter in der Reichweite serbischer Radars.

KFOR und EUFOR

Die Kosovo-Truppe, kurz KFOR (englisch Kosovo Force), ist die 1999 nach Beendigung des Kosovokrieges aufgestellte multinationale, militärische Formation unter der Leitung der NATO (im Auftrag der UNO). Die Swisscoy ist der Verband der Schweizer Armee im Kosovo, welcher seit Beginn der Aktion mit bis zu 195 Personen im Einsatz steht.

Die EUFOR ist – ähnlich wie die KFOR – eine Europäische Friedenstruppe, um in Bosnien die Friedensentwicklung zu fördern. Der Lufttransport der Schweizer Luftwaffe unterstützte auch diese Mission von 2005-2009 mit Transporthelikoptern vom Typ AS532 COUGAR.

Der «kriegsnahe» Einsatz unserer Helikopter war sehr risikoreich und führte zur bitteren Erkenntnis, dass unsere Helis über keinerlei Selbstschutz verfügten. Diese Unzulänglichkeit wurde mit der Beschaffung von passiven und aktiven Selbstschutz-Einrichtungen verbesser

3. Aktiver und passiver Selbstschutz

ISSYS – eine Lebensversicherung

Im Rahmen des Rüstungsprogramms 2002 wurde für 50 Mio. CHF das Selbstschutz-System IDAS 2 – in der Schweiz «ISSYS» genannt – für die Transporthelikopter TH 98 beschafft. Die Südafrikanische Firma AVITRONICS hatte aus der Zeit der Apartheid Erfahrung mit solchen Integrationen. Über RUAG als Industrievertreter und Armasuisse als Luftwaffenvertreter wurde das erste ISSYS in den TH98 integriert. Einige Jahre später (im Jahre 2005) wurde AVITRONICS durch die schwedische Firma SAAB übernommen. Seit da wurde die Zusammenarbeit mit Schweden und Südafrika gepflegt. Für den Werterhalt der COUGAR-Flotte zwischen 2017 bis 2021 – oder eben midlife Upgrade – wurde wiederum das von SAAB GRINTEK Defence (neuer Name, gleiche Firma) angebotene Nachfolgeprodukt gewählt. Dieses wurde erneut durch die RUAG und Armasuisse integriert. Massgebenden Einfluss an dieser erfolgreichen Integration kam aber seitens OEE des Lufttransports (operationelle Erprobung und Evaluation). Ohne die operationellen Erkenntnisse und entsprechend wichtiges Mitwirken des OEE und aller operationell beteiligten Stellen der LW wäre die Weiterentwicklung bei weitem nicht so gut gelungen. Dieses System ist nun integriert und läuft unter dem Namen «IDAS-3».

Das «lntegrated Self-Protection System» (ISSYS) kann die Erfassung des Helikopters durch Zielgeräte und/oder Radars sowie sich annähernde Raketen detektieren. Entsprechend können sodann vom Piloten manuell oder computergesteuerte Gegenmassnahmen eingeleitet und je nach Bedarf definiert werden.

Das ISSYS beinhaltet folgende Komponenten: Warneinheiten gegen Lenkwaffenbeschuss sowie Laser- und Radarbestrahlung (Missile Approach Warner, Laser Warning Sensors, Radar Warner). Die Abstrahlung der Triebwerke und der Abgase können zusätzlich mit IR-Supressoren abgeschwächt werden. Eine Kontrolleinheit gegen elektronische Kriegsführung (Electronic Warfare Controller), eine Anzeige der Bedrohung und eine Kontrolleinheit (Threat Display and Control Unit) sowie als aktive Massnahmen einen Chaff and Flare Dispenser, also Magnesium-Kugeln gegen lnfrarot-Raketen und feine Metallstreifen zur Störung der gegnerischen Radaranstrahlung komplettieren das kompakte System.

ISSYS – Sensoren

Chaff und Flare Dispenser (Ausstoss)

ISSYS – Ausbildung

Das neue, komplexe und sehr leistungsfähige System «ISSYS» bedingt eine intensive Ausbildung und regelmässiges Training. Dabei geht es darum, den «integralen» Helikopter-Einsatz in einem realistischen Bedrohungsszenario wie Tiefflug mit bodenseitiger Bedrohung sowie aus der Luft zu verinnerlichen.

Die ersten Ausbildungskurse mit diesem neuen Selbstschutz-System gegen Boden- und Luftbedrohung erfolgten im Jahre 2003. Die Sparte Lufttransport hatte bis dahin keine eigene Erfahrung mit solchen Geräten. Lediglich das theoretische, taktische Grundwissen gegen veraltete Boden- und Luftbedrohung (Technik aus der Zeit des kalten Krieges) sowie der fliegerische Tiefstflug waren Bestandteil der Ausbildung.

Das Konzept der YSSYS-Ausbildung sieht drei Stufen vor. Der erste Kurs dient vor allem dem Handling des Systems und ist auf bodengestützte Bedrohungen fokussiert. Im zweiten Kurs steht der Einsatz unter Einbezug von Kampfflugzeugen, also Bedrohungen aus der Luft, im Zentrum. Als Abschluss dieser Kursreihe trainieren die Piloten in Schweden auf einem flächenmässig viel grösseren Schiessplatz als in der Schweiz gegen Boden- und Luftbedrohung.

Die ersten Kurse wurden vom Chef Einführung, Oberstlt Ruedi von Flüe, organisiert und geleitet. Diese beinhalteten eine Grundausbildung zur Bedienung des Selbstschutzsystems in der Schweiz. Man flog zu den wenigen noch vorhandenen Schiessplätzen der Luftwaffe und lernte, das System bis zum “scharfen Schuss” von Flare und Chaff zu bedienen.

Hinzu kamen primär Ausbildungskurse “gegen Bodenbedrohungen”. Einerseits wurde in der Schweiz mit den eigenen Fliegerabwehr-Einheiten wie Stinger, Rapier und Skyguard/Mittlere Flab trainiert. Der Höhepunkt der neuen Ausbildung war aber der Kurs “gegen Luftbedrohung”. Es wurde im Alpenraum gegen eigene F/A-18 geübt. Dieser Kurs gegen Luftbedrohung war absolutes Neuland für die damaligen Heli-Piloten, da weder Radarwarner noch die Abläufe des modernen “Luftkampfs” bekannt war. Zudem stellten die Hornet-Piloten bald fest, dass es alles andere als einfach war, die Helis mit Sensoren erfolgreich zu bekämpfen. Der gesamte Bereich der neu entstandenen Weiterbildung mit dem Selbstschutzsystem gehörte zum Anspruchsvollsten und Komplexesten im ganzen Spektrum unserer Militär-Heli-Fliegerei! Zudem fanden weitergehende Ausbildungs-Sequenzen in der POLYGONE-Range im Deutschen Saargebiet statt. Dort konnte die Handhabung des Selbstschutzsystems gegen Livesysteme des ehemaligen WAPA sowie gegen ältere westliche Systeme vertieft geübt werden.

Ausbildung und Training in der Praxis

Die räumlich und lärmtechnisch limitierten Möglichkeiten in der Schweiz für solche realistische Einsätze sind nur auf dem Fliegerschiessplatz Forel am Neuenburgersee gegeben. Dort können Geräte für simulierte Angriffe mit radar- oder infrarotgesteuerten Lenkwaffen installiert werden. Es können also verschiedene Szenarien zum Üben der Bedrohungs-Erfassung und zeitgerechtem Einsatz der zweckmässigen Abwehrmittel Chaff und/oder Flares aufgebaut werden. Das bundeseigene Gelände «erlaubt» den scharfen Einsatz der bis 1’000° heissen Magnesium-Flares. Die Einsätze werden zuerst am Tag eingeübt und dann in der Nacht ausexerziert. Der nahe Flugplatz Payerne ermöglicht das Trainieren bei Tag und Nacht.

Ein nächster Schritt in der Ausbildung ist eine Art «Kampfprofil-Einsatz». Der Auftrag ist ein Transport mit mehreren Helikoptern quer durch das Mittelland und Landung/Abladen in den Voralpen/Alpen. Das bedingt ein minutiöses Kartenstudium mit optimaler Flugwegwahl unter Ausnützung der Topgrafie/Bodenbedeckung/Hindernissen sowie die dazugehörigen vorbehaltenen Entschlüsse/Ausweichvarianten. Bei der Vorbereitung ist die Bedrohung (Boden/Luft) nicht bekannt und es muss mit Überraschungen gerechnet werden. Die auf uns angesetzten F/A-18 und TIGER-Kampfflugzeuge belegen ihre Aktivitäten mit Video. Die Helikopter dürfen nur «Übungsmunition» anwenden, aber ein «Schusszähler» kann beim Debriefing und der Auswertung zu Hilfe gezogen werden. Solche Übungen auf Gegenseitigkeit sind ohne Zweifel von hohem Ausbildungswert.

Grundausbildung in Forel am Neuenburgersee

Weiterausbildung und Training im Ausland

Unsere Jet-Kollegen hatten schon seit Jahrzehnten Gelegenheit, Trainings-Kampagnen im Ausland (Holloman, Cazaux, Vidsel, Decimomannu usw.) durchzuführen. Die viel dünner besiedelten Regionen ermöglichten in den riesigen Trainingsräumen ein ganz anderes Training. Für uns war auch das Neuland. Aber die Sparte Lufttransport (LT) zog nach und fand in der internationalen Übung ELITE im Süddeutschen Raum ein passende Möglichkeit, vielfältiger und komplexer, zudem im Verbund mit anderen Nationen gegen bekannte sowie unbekannte Systeme, zu üben. Dies war eine ergänzende Ausbildung, da die anderen Kurse blieben.

Im Laufe der Jahre kamen andere Regionen dazu. Interessant ist der Einbezug der bekannten Test-Range von VIDSEL (S) für die Sparte LT. Der für die Schweizer Cougars zuständige Chef Operationen ELITE kam in einem Gespräch 2009 mit einem schwedischen Vertreter auf die vorhandenen Trainingsmöglichkeiten in VIDSEL. Dies besprach er anschliessend mit dem Zuständigen für die Ausbildung am Selbstschutzsystem LT, und in der Folge wurden ab 2010 Vidsel-Kampagnen für das Training der Sparte LT etabliert.

Ergänzend zu Vidsel wurden einzelne weitere Auslandtrainings, z.T.  im internationalen Verbund oder als reiner Schweizer Verband, in Norddeutschland (JAWTEX) oder auch England (YORKNIGHT) durchgeführt. Die grossen Gewinne solcher Übungen liegen im gesamtheitlichen Training, des Erkennens bis anhin unbekannter Problemstellungen und Erarbeiten entsprechender Lösungen sowie das Trainieren und Festigen der gesamtheitlichen Zusammenarbeit.

ISSYS Ausbildung Stufe 3 In Vidsel

Die definierten Kurse der ISSYS Stufe 3 dauern drei Wochen und dabei erreichen die Piloten den Status «Combat Ready / CR» (einsatzbereit). Es geht vor allem um Trainings- und Ausbildungsflüge im komplexen EKF Klima (Bedrohung aus der Luft «Air Threat» und bodengestützte Abwehrsysteme «GBADS / Ground Based Air Defense Systems»). Der erste (noch) zweiwöchige Kurs im Jahre 2010 wurde als Testmodul für die zukünftige ISSYS 3 (ISSYS CR) Ausbildung in Vidsel (Schweden) durchgeführt.

Im Laufe der Jahre wurden über ein halbes Dutzend solcher Kampagnen mit grossem Erfolg in Vidsel durchgeführt. Selbstverständlich wurden die gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse für weitere Kampagnen laufend umgesetzt. Die Helikopter-Besatzungen konnten dadurch auf einen Ausbildungs- und Trainingsstand gebracht werden, der in der Schweiz nicht möglich gewesen wäre. In diesem Bericht wird der erste Kurs von 2010 beschrieben. Die «Highlights» der weiteren Kampagnen sind in der Zusammenfassung aufgelistet.

Ziele der Kampagne

  • Rekognoszierung der Vidsel Test Range unter der Vorgabe, die Machbarkeit bezüglich Durchführung der neuen Ausbildungsstufe (ISSYS 3) zu verifizieren.
  • Update der Teilnehmer mit Informationen aus dem Bereich «Elektronische Kriegführung» EKF im Lufttransport.
  • Weiterausbildung betreiben und bereits erlernte Taktiken gegen Bedrohung Luft und Boden vertiefen.
  • Möglichst viele Flüge als Nachtflug durchführen.
  • Teilnehmer mit Stufe „ISSYS 2“ als Test für die zukünftige ISSYS 3 Ausbildung zu „ISSYS CR“ Piloten ausbilden.

Vorbereitung

  • Kreation der verschiedenen Szenarien und Abstimmung mit allen Beteiligten
  • Absprachen zwischen Piloten / Technik / Logistik / Aussenstellen
  • Erforderliche Ausrüstung der Helikopter + Zusatztanks
  • Ausgedehntes Briefing
  • Flugvorbereitung
  • Überflüge / Alternativen / Notfälle / Kontakt mit der Homebase und Einsatzzentrale

Helikopter

Die in den Cougars eingebauten Zusatztanks ermöglichten es, jede geplante Teilstrecke, sowohl nach VFR als auch nach IFR abzudecken. Dadurch vereinfachte man die Planung enorm.

Überflug

Start der drei Cougars in Dübendorf. «Hotrefueling» (Auftanken ohne abstellen der Triebwerke) in Fritzlar (Schleswig-Holstein), anschliessend Weiterflug nach Såtenäs – night stop. Am nächsten Tag Überflug nach Sundsvall mit Auftanken. Nach zehn Stunden reiner Flugzeit erfolgte die Landung in Vidsel.

Alternative Zwischenstopp-Destinationen: Hohn, Paderborn, Kiel, Kassel, Hamburg, Roskilde und Odense (DNK).

Ein vermeintlicher negativ Punkt der Kampagne, die langen Überflüge Schweiz – Schweden wurden von allen Piloten sehr geschätzt, denn sie boten die seltene Gelegenheit, Ausland-IFR-Erfahrung zu machen.

 Flugweg Dübendorf – Vidsel

Infrastruktur

Vidsel ist eine voll ausgerüstete, einsatzbereite und operationelle Air Base. Die Test Range erfüllt alle unsere Bedürfnisse und ist absolut nicht vergleichbar mit den Trainingsmöglichkeiten in der Schweiz! Die Ausdehnung des Trainingsraums von ungefähr 40 x 80 km, die permanente Erlaubnis, Chaff und Flare zu schiessen, fast keine Hindernisse, unbewohnt, keine Einschränkungen bezüglich Tiefflug und einem Gelände das taktische Szenarien zulässt, ist einfach perfekt! Auf der gesamten Vidsel Test Range gibt es nur zwei Hochspannungsleitungen und einige  gut markierte Antennen als Hindernisse.

Flugplatz Vidsel RWY 11 mit Shelters am Pistenanfang

Geplantes Flugprogramm:

Am ersten Trainingstag nutzten wir die einmalige Gelegenheit, in einem unbekannten Gelände ohne Rekognoszierung einen Echteinsatz zu trainieren. Dabei wurden wir in unserer bisherigen Arbeit bestätigt. Unsere ISSYS-Ausbildung befähigt uns, in einem «Electronic Warfare» (EW) Bedrohungsszenario, trotz unbekanntem Gelände, einen Auftrag erfolgreich durchführen zu können. Anschliessend an den simulierten Echteinsatz wurde die ganze Range ausgiebig rekognosziert.

4 Missionen mit Bodenbedrohung, davon 2x Tag, 2x Dämmerung bis Nacht

3 Missionen mit Bodenbedrohung und peilen PLB*, davon 2x Tag, 1x Dämmerung bis Nacht 2 Missionen mit Boden- und Luftbedrohung (Gripen), davon 1x Tag und 1x Nacht

* PLB Personal Location Beacon – Persönlicher Notsender aus dem Notpaket

Die totale Flugzeit betrug 98 h 41 min., d.h. pro Heli etwas mehr als 32 Stunden.

Zusammenarbeit

Während der verbleibenden Trainingstage wurde der Schwierigkeitsgrad der Missionen kontinuierlich gesteigert. Einerseits wurden die Flüge immer mehr in die Nacht hinein verlagert, andererseits wurden die Positionen der Boden-Emitter den beteiligten Besatzungen nur noch teilweise oder schlussendlich gar nicht mehr bekanntgegeben, so dass ein zusätzlicher Überraschungseffekt entstand. Zusätzlich wurden in der zweiten Woche COMAO`s (Combined Air Operation) mit den schwedischen Gripen durchgeführt. Dabei konnten wir erstmals die Grenzen bezüglich des psychisch Machbaren ausloten: Boden- und Fighter-Bedrohung, Nachtflug, Tiefflug, Erlaubnis Chaff und Flare zu schiessen, Schlechtwetter und vier Frequenzen auf denen mehr oder weniger permanent gesprochen wird, überschreiten die Grenze des Verarbeitbaren. Dabei konnten wir wertvolle Erkenntnisse für die zukünftige ISSYS 3 Ausbildung gewinnen.

Die Zusammenarbeit mit den schwedischen Gripen-Piloten war sehr angenehm. Die Möglichkeit, die Einsätze «face to face» sowie mit der Schwedischen Einsatzzentrale am Telefon zu briefen, wurde von beiden Seiten sehr geschätzt. Die durch uns vorgegebenen Missionen waren für die Gripen-Piloten nicht unbekannt. Sie hatten aber keine Erfahrungen bezüglich Zusammenarbeit mit Hubschraubern. Die Erfahrungen aus den gemeinsamen Übungen entsprachen weitgehend denen aus Flügen mit unseren eigenen F-18 in der Schweiz.

Sehr erfolgreiche Zusammenarbeit mit den schwedischen Gripen

Probleme

Am Polarkreis herrschen gelegentlich Temperaturen bis minus 25°. Leider gab es mehrmals Probleme mit den Seals (Dichtungsringen) der MPAI (Multi Purpose Air Intakes). Nach dem Abstellen der Triebwerke entweicht die warme Luft aus den Seals. Diese fallen in sich zusammen, und das sich bildende Kondenswasser gefriert aufgrund der tiefen Aussentemperatur sofort. Nach dem erneuten Starten der Triebwerke kann die warme Luft nicht in den Seals zirkulieren und taut diese somit auch nicht auf. Wenn die Seals nicht aufgeblasen werden können, ergeben sich einschneidende Einschränkungen Im Flugdienst.

Die tiefen Temperaturen manifestierten sich am ersten Flugtag mit diversen Fahrwerkproblemen. Teilweise konnten nicht alle Räder eingefahren werden oder das Lampenspiel entsprach nicht der tatsächlichen Position. Um diesem Problem entgegen zu wirken, wurden ab dem zweiten Flugtag die Fahrwerke nicht mehr eingefahren. Erst auf dem Rückflug in die Schweiz, als die Aussentemperaturen wieder etwas wärmer wurden, entschieden wir uns, die Fahrwerke wieder ein- und auszufahren.

Das ISSYS «führt Buch» über die geladene und verschossene, resp. verbleibende Anzahl «Chaff» und «Flares». Während den intensiven Einsätzen wird eine grosse Anzahl «Chaff» und «Flares» ausgestossen. Dabei gibt es oft eine Anzahl «Missfires» (Fehlschüsse). Bei festgestellten oder nicht angezeigten «Missfires» muss zwingend nach jedem Flug, bei welchem Chaff oder Flare verschossen wurden, in der «Weapon Trouble Area» (Waffenstörungsplatz» gelandet und das System überprüft werden.

Summary

Während dieses umfangreichen komplexen Programms konnte die Vidsel Test Range ausgiebig getestet werden. Die Überprüfung der neuen ISSYS CR-Ausbildung (ISSYS 3) ist dank dem Engagement aller Beteiligten sehr erfolgreich verlaufen.

Fazit: Die Ausbildung, die Vorbereitung und das Programm sowie die Vidsel Test Range sind in allen Belangen ausgezeichnet für die ISSYS CR-Ausbildung geeignet!

In den Folgejahren haben mehr als ein halbes Dutzend dieser erfolgreichen Kampagnen in Vidsel stattgefunden.

Gesammelte Erfahrungen aus den Vidsel – Kampagnen

Das vor dem Kurs ausgearbeitete neue Ausbildungsmodul (ISSYS 3) hat seine Bewährungsprobe bestanden. Im Rahmen einer Auswertungsrunde wurden die Schwachpunkte eruiert und bereits als Änderungspunkte in die Unterlagen übernommen.

Das ISSYS funktionierte wie gewohnt gut. Vereinzelt kam es zu den bekannten „kleineren“ Systemabstürzen, welche aber nach einem «Autoreboot» wieder normal funktionierten.

Der Gebrauch der Nachtsichtgeräte «night vision goggles/NVG» und der Einsatz von Flares vertragen sich schlecht, da diese «blitzförmigen» Lichteffekte die NVG überblenden.

Das Aufwirbeln von Schnee bei Start und Landung ist je nach Beschaffenheit und Temperatur unterschiedlich. Für die Piloten kann die Sicht sehr stark behindert werden oder gar bis auf null zusammenfallen. Dieses Phänomen – «White out» genannt – kann gefährlich werden und nur durch Zuhilfenahme des Radarhöhenmessers entschärft werden.

Ein weiteres Wetter-Phänomen ist gefrierender Nebel «freezing fog», und dieser kann sich bei diesen extrem tiefen Temperaturen rasch in einer Form von Raureif z.B. auf dem Helikopter festsetzen.

Notfunkbake (Personal Locator Beacon) PLB

Solche PLB befinden sich im Notpaket der Schleudersitze, um dem mit dem Fallschirm abgesprungenen Piloten die Möglichkeit zur Markierung seines Standortes zu geben. Zum Training der Helikopter-Besatzungen wurden mehrere Übungen mit unbekanntem Standort erfolgreich durchgeführt. Die Standorte der PLBs wurden meistens innerhalb weniger Minuten mittels «Homing» (Peilung) gefunden. Die Batterien haben auch bei Temperaturen bis minus 25° funktioniert.

Verbesserungen

  • Arbeitszeit
    Die Intensität und Dauer der Arbeitstage waren bezüglich der Belastbarkeit oft am oberen Limit. 12 oder 14 Stundentage waren die Regel. Die vom Bund initiierte «COSAF» Crisis Organisation Swiss Airforce/Risikomatrix hatte eine ausführliche Risikobeurteilung durchgeführt. Die aus der Risikobearbeitung entstandenen Präventiv Massnahmen (z. B. Sensibilisierung aller Kampagnenteilnehmer in einem Briefing) wurden umgesetzt. Das Feedback betreffend diesem Briefing war sehr positiv!
  • Organisation
    Die integrale Mitarbeit eines Nachrichtenoffiziers ist sehr zweckdienlich.
    Das Bodenpersonal sollte vor dem Eintreffen der Cougar vor Ort sein und bei der Rückverschiebung als letzte heimreisen.
  • Nachtflug
    Es hat sich klar gezeigt, dass für die ISSYS 3 Ausbildung die Nachtflugstufe 5 zwingend ist. Nur so können die zahlreichen Möglichkeiten der Range auch in der Nacht optimal ausgeschöpft werden.
  • Flugdienst mit Nachtsichtgeräten (NVG)
    Die zahlreichen Nachteinsätze führten zur Erkenntnis, dass in der NVG-Ausbildung zu wenig Augenmerk auf die taktischen Aspekte gelegt wird. Zu selten werden Anflüge mit möglichst wenig Licht – im Idealfall ganz ohne – trainiert. Die Piloten sind es gewohnt, die jeweils komfortabelste Beleuchtungsvariante für die Anflüge und den Start zu wählen. Man sollte bei Situationen, welche einen Anflug auch mit reduzierter Beleuchtung zulassen würden, bewusst nutzen.
  • GPS-Jammer
    Die Vidsel Test-Range ist daran, diese Kompetenz im nächsten Jahr massiv auszubauen. Bis jetzt gab es erst eine eindrückliche Demonstration.

Cougar mit Seilwinde, starkem Suchscheinwerfer (links) und Infrarotkamera (rechts)

Text: Rudolf Wicki

Quellen:

© VBS/DDPS Bundesarchiv

Fotos:

Oberstleutnant Rolf Schellenberg, BFK

Major Jarno Benz, BFK

Archiv AFC 

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