– 14.04.2022 –

Die Erkundung

Es sind nun einige Tage seit der Befehlsausgabe auf dem KP der M Flab Abt 45 vergangen. Mittlerweile ist das Gros der Truppe der Bttr 45/2 am letzten Montag an unserem WK-Standort eingerückt. Nach den Mobilmachungsarbeiten, der Standartenübernahme und den Pflichttheorien haben wir am Dienstag mit dem Technischen Dienst begonnen: Der technischen Ausbildung an unserem Flab-Waffensystem. Die Radarsoldaten wurden am Feuerleitgerät 75/95 (Flt Gt 75/95) und die Kanoniere an der 35mm Fliegerabwehrkanone 63/90 (Flab Kan 63/90) durch ihre jeweiligen Gruppenchefs eingewiesen. Es gilt innerhalb von zweieinhalb Tagen, das in der Rekrutenschule angelernte Grundwissen wieder aufzufrischen. Dasselbe gilt auch für die Übermittler und Motorfahrer. Meine Feuereinheit (FE) hat einen Sollbestand von 57 Angehörigen der Armee (AdA); 2 Subalternoffiziere, 12 Unteroffiziere und 43 Soldaten. Aufgrund von Dienstverschiebungen und sonstigen Ausfällen stehen mir in diesem WK nur gut zwei Drittel der Mannschaft zur Verfügung.

Heute ist nun Donnerstag in der ersten WK-Woche, und die Erkundung (Erk) für die Einsatzübung steht an. Am Vortag habe ich am Feuereinheitsrapport meinen Erkundungstrupp (Erk Trp) befohlen und organisiert. Der Erk Trup besteht aus meinem langgedienten Gerätechef (Gt C), welcher einer meiner Unteroffiziere und verantwortlich für eine der beiden Gerätegruppen (Gt Grp) für das Flt Gt 75/95 ist. Er wird den Erk Trp leiten. Seine Arbeit wird durch zwei Radarsoldaten unterstützt. Der Gt C wird für das Erkunden der Stellungen (Stel) für das Flt Gt 75/95, sowie das Erstellen der jeweiligen Wirkungsrosetten zuständig sein. Zwei Geschützgruppenchefs (Gesch C) werden die notwendigen Stel der beiden Flab Kan 63/90 der Feuereinheit erkunden. Zusätzlich nehme ich noch einen Motorfahrerunteroffizier (Mot Uof) und einen Kanonier als meine Gefechtsordonanz (Gef Ord) mit. Der Mot Uof wird mich bei der Erkundung des Bereitstellungsraumes (Bestlrm), der Marschachse und der Zufahrtswege für die Stel mit seinem Fachwissen unterstützen. Meine Hauptaufgabe während der Erkundung sind die Absprachen mit den Landbesitzern der jeweiligen Stellungen für das Rückwärtige (Rw) und den Gefechtsstand (Gefstd) meiner FE.  Selbstverständlich bin ich gegenüber dem Abt Stab auch für die Resultate der Erkundung in Form der abzugebenden Wirkungsrosetten verantwortlich. Kurzum die Erkundung ist eine anspruchs- und verantwortungsvolle Aufgabe.

Neben der personellen Zusammensetzung gehört auch die materielle Organisation zur Erkundung. Für die Stellungen des Flt Gt 75/95 und der beiden Flab Kan 63/90 müssen Wirkungsrosetten erstellt werden. Dafür benötigen wir ein Batterieinstrument – eigentlich ein Goniometer –Kartenmaterial, Kartenwinkelmesser, Zeichenmaterial und die notwendigen Formulare.

Batterieinstrument (Goniometer) Wild G10

Mittels kleiner Holzpflöcke markieren wir nach erfolgter Vermessung der Stellung den Standort für das Flt Gt 75/95 und die beiden Flab Kan 63/90, sodass wir beim späteren Stellungsbezug (Stel Bez) den genauen Standort wiederfinden. Im Erkundungsraum werden wir mit drei verschiedenen Trupps unterwegs sein, um die kurze Zeit für die Erkundung am effizientesten zu nutzen. Darum benötigen wir dazu auch drei Fahrzeuge.

Nun haben wir unser Erkundungsmaterial auf die Fahrzeuge verladen und ich habe die Befehlsausgabe für die Verschiebung (Vs) von unserem WK-Standort in den Erkundungsraum (Erk Rm) abgeschlossen. Die Vs dauert rund eine Stunde. Genügend Zeit für mich, die Erkundung und die zeitlichen Verhältnisse nochmals Revue passieren zu lassen. Wir haben den WK-Standort kurz nach dem Antrittsverlesen (AV) um 07:30 verlassen und werden um 08:30 den Erk Rm rund um unser zu schützendes Objekt, das Laufwasserkraftwerk Flumenthal, erreichen. Dort angekommen werden wir uns in die drei erwähnten Trupps aufteilen. Es gilt bis am Nachmittag 16:00 alle Stel vermessen, den Bestlrm erkundet, die Zufahrtswege abgefahren, das Rw und den Gefstd erkundet und sämtliche Landabsprachen getroffen zu haben. Denn um 16:30 findet im Restaurant Sternen in Derendingen der Erkundungsrapport unter der Leitung des Radaroffiziers des Abt Stabes statt.

Beim Erstellen der Wirkungsrosetten der jeweiligen Stel wird der Erk Trp unter der Leitung des Gt C alle 200 Artilleriepromille (Art ‰) im Azimut (Seite) beginnend bei 0000 = Norden die Demaskierungsdistanz bestimmen. Auf dem Erkundungsformular Stellungsrosette befindet sich ein Kreis (Panorama) welches in 6400 Art ‰ (360°) aufgeteilt ist, dabei gilt 0000 / 6400 ‰ Norden. Dies erfolgt durch das Ermitteln des Deckungswinkels mittels des Batterieinstruments und des Höhenunterschieds zwischen der Flughöhe über Grund des angreifenden Ziels bei der Demaskierung und der aktuellen Höhe der Stel über Grund. Dabei wird der Höhenunterschied in m durch den Deckungswinkel geteilt. Zum Beispiel wurde beim Azimut 2600 ‰ ein Höhenunterschied von 143 m bei einem Deckungswinkel von 16 ‰ erhoben; es resultierte eine Demaskierungsdistanz von 8.9 km. Alle Demaskierungsdistanzen grösser als 8 km gelten als gut, alle bis 6 km genügend.

Sobald alle 32 Messpunkte (6400 ÷ 200) vermessen sind, erfolgt das Berechnen der Wirkungsdistanz. Dafür wird die Strecke des angreifenden Flugziels, welches es während der Systemreaktionszeit der FE und der Flugzeit der 35mm Geschosse bis zum Treffpunkt zurücklegt von der Demaskierungsdistanz abgezogen (subtrahiert). Die Systemreaktionszeit der FE – Zeit von Entdeckung des Ziels auf dem Radar bis zur Feuerauslösung) – beträgt in der Regel 7 Sekunden. Aus der Befehlsausgabe durch den Abt Kdt in der KVK-Woche haben wir vom Nof die angenommene Geschwindigkeit der angenommenen Bedrohung mitgeteilt bekommen; sie liegt bei 250 m / Sekunde. Somit legt das angreifende Flugziel während der Systemreaktionszeit 1’750 m (7 x 250) zurück. Die Geschossflugzeit der 35mm Geschosse für die ideale Wirkdistanz liegt bei 4 Sekunden. Also müssen wir zu den 1’750 m noch 1’000 m dazu rechnen (4x 250) und kommen somit auf eine Distanz von 2’750 m, welche nun von den gemessenen Demaskierungsdistanzen abgezogen werden muss.

Hier dazu wieder ein Beispiel: beim Azimut 5600 ‰ wurde eine Demaskierungsdistanz von 6.3 km ermittelt. Nun ziehen wir davon die 2’750 m ab und kommen auf eine Wirkungsdistanz von 3’550 m, was etwas unter der maximalen Wirkungsdistanz der 35mm Flab Kan 63/90 liegt. Sie ist aber so gut, dass der Auftrag erfüllt werden kann, was bedeutet, dass das gegnerische Flugzeug durch das Feuer der FE getroffen wird, bevor es seine Waffen gegen das zu schützende Ziel – Laufwasserkraftwerk Flumenthal – auslösen kann.

Bild 2: Ermitteln der Wirkdistanz

Um 15:00 habe ich eine Zusammenkunft aller Erk Trp meiner FE im Gel befohlen, um die Ergebnisse abzugreifen. Wie zu erwarten, waren die Arbeiten für das Vermessen der Stel am aufwendigsten. Die gelieferten Wirkungsrosetten weisen alle brauchbare bis gute Resultate auf, sodass ich ein gutes Gefühl habe, dass der Abt Stab anlässlich des Erk Rapports um 16:30 meine Stel genehmigen wird. Kurioserweise befindet sich die Hauptstellung meiner FE unmittelbar auf dem Wehr des Laufwasserkraftwerks. Der Mot Uof hat zwei mögliche Bestlrm gefunden. Ein Kieswerk und ein Waldstück. Ein wichtiger Faktor für einen Bestlrm neben der Tarnung gegen Aufklärung aus der Luft sind geeignete Wege oder Strassen, sodass die Fahrzeuge der FE ohne Probleme den Bestrlm erreichen und wieder verlassen können. Der dritte Trp hatte einen geeigneten Gefstd und ein Rw als Unterkunft meiner FE während der Einsatzübung gefunden. Beide befinden sich in unmittelbarer Nähe der FE Stel und zwar in der Werkgarage des Flusslaufkraftwerks und in einem Barackenlager eines nahegelegenen Kieswerks.

Bevor ich mit allen Formularen und Landabspracheprotokollen zum Erk Rapport mit dem Abt Stab gehe, lege ich noch die Weiterarbeit meines Erkundungsdetachements fest und erteile den Befehl für die Rückverschiebung an unseren WK-Standort. Kurz vor 16:30 treffe ich mit meinem Gt C im Restaurant Sternen in Derendingen ein. Der Abt Stab ist bereits vor Ort und hat einen abgetrennten Saal des Restaurants als Rapportraum umfunktioniert. Eine Büroordonanz nimmt meine Erkundungsformulare und Abspracheprotokolle entgegen, kopiert sie und gibt sie mir für die anschliessende Präsentation wieder zurück. Der Ablauf des Erkundungsrapport erfolgt unter der Leitung des Radar Of der Abt. Zuerst berichten die jeweiligen Chefs der FE 1 – 3 der Bttr 45/1 und dann kommen die Chefs der Bttr 45/2 an die Reihe. Ich als Chef der FE 6 bin der letzte, bevor dann auch noch der Kommandozugführer der Stabsbatterie über die Erkundungsresultate des Abt KPs und der Reparaturwerkstatt berichtet. Ich habe Glück, meine erkundeten Stel und der Bestlrm wurden auf Anhieb akzeptiert. Erleichtert verlassen mein Gt C und ich das Lokal wieder und machen uns gemeinsam mit dem Rest des Erk Det der FE 6 auf den Rückweg an unseren WK-Standort.

Die Übung kann beginnen!

Text: Beat Benz   Bilder: Beat Benz, Wikipedia