-11.04.2023-
Leben in der Stellung
Seit dem Erlangen des Feuerbereitschaftsgrades 2 (FBG 2) sind mittlerweile einige Stunden vergangen und die mentale Anspannung hat sich etwas gelegt. Meine jetzige Hauptaufgabe als Kommandant der Feuereinheit (FE) 6 der M Flab Batterie 45/2 ist es, die Feuerbereitschaft aufrecht zu erhalten und das Funktionieren der Feuereinheit zu gewährleisten.
Dazu gehören neben dem Hauptprozess der Zielbekämpfung von gegnerischen Flugzielen die Nebenprozesse wie Aktionsplanung, Aktionsführung, Sicherung, Versorgung (Logistik) und Verbindungen (Führungsunterstützung). Vereinfacht gesagt, geht es um das Leben in der Stellung.
Ein wesentlicher Aspekt der Aufrechterhaltung der Durchhaltefähigkeit ist der Ablöserhythmus und die Versorgung der Feuereinheit mit Nachschub im Bereich Verpflegung und Verbrauchsmitteln wie Treibstoffe, Schmierstoffe und Batterien. Meine Feuereinheit ist in zwei Ablösungen A und B organisiert. Alle 6 Stunden wechseln sich die Ablösungen ab. Die eine Ablösung ist im Einsatz, was bedeutet, dass diese Ablösung sämtliche Geräte und den Gefechtsstand betreiben. Die andere Ablösung ist im Ruhen. Mit diesem Ablöserhythmus von viermal sechs Stunden pro 24 Stunden kann eine Feuereinheit ca. eine Woche bis etwa zehn Tage lang einen Auftrag in einer feldmässigen Stellung erfüllen. Danach müsste die ganze Feuereinheit abgelöst werden. Die aktuelle Übung ist auf vier Tage angesetzt. Bei jedem Wechsel der Ablösungen werden auch Funktionskontrollen an allen technischen Geräten vorgenommen, um die materielle Bereitschaft der Feuereinheit immer möglichst hoch zu halten. Funktionskontrollen und das Nachfüllen von Treibstoff an den Geräten der Feuereinheit müssen mit dem Lageverfolgungszentrum der Abteilung koordiniert werden. Es geht dabei darum, sicherzustellen, dass der Auftrag im Kernprozess «Zielbekämpfung» jederzeit erfüllt werden kann. Es darf nicht passieren, dass zwei Feuereinheiten, die denselben Primärbekämpfungssektor abdecken, zur gleichen Zeit ausser Betrieb sind.
Eine M Flab FE ist nicht mit einer Feldküche ausgerüstet. Dies bedeutet, dass alle 6 Stunden die Feuereinheit mit Verpflegung vom Standort der Batterie versorgt werden muss. Es ist für die Batterieküche eine Herausforderung, während 24 Stunden viermal warme Mahlzeiten an vier Feuereinheiten im Felde auszuliefern. Hier ist der Fourier der Batterie besonders gefordert. Dasselbe gilt für den Feldweibel, welcher die Feuereinheiten mit Nachschub aus dem Batteriematerialdepot versorgen muss. Der Kommandant einer M Flab Batterie hat im Einsatz daher vor allem einen logistischen Auftrag zu erfüllen. Daneben ist er für die Betreuung seiner Feuereinheitskommandanten zuständig. Jeden Tag findet ein Batterierapport statt, an welchem die höheren Unteroffiziere, Zugführer und die Feuereinheitskommandanten teilnehmen. Innerhalb der FE findet ebenfalls jeden Tag ein Rapport mit den Gruppenchefs statt. Somit ist die Durchlässigkeit der Befehle und Information sichergestellt. Die Truppe der Feuereinheit wird entweder direkt durch die Gruppenführer oder durch eine Infotafel in der Feuereinheitsunterkunft auf dem Laufenden gehalten.
Die Unterkunft der Feuereinheit im Felde fällt meistens spartanisch aus. Auf einem Bauernhof werden meistens im Stall die Schlafstellen eingerichtet. Meistens steht auch nur ein WC und ein Waschbacken für die ganze Feuereinheit zur Verfügung. Duschen ist allenfalls möglich, wenn die Eigentümer eine solche zur Verfügung stellen. Hygiene ist Chefsache. Das heisst, ich muss kontrollieren, dass die Truppe meiner Feuereinheiten auch im Felde der Hygiene nachkommt, inkl. der berüchtigten Rasurkontrolle. Für Kranke oder leicht Verletzte wird in einem abgesonderten Bereich ein “Verwundetennest” eingerichtet. Es wird von einem Zugssanitäter betrieben. Ernstere Fälle werden mittels einer Evakuierung in die Sanitätsstelle auf Stufe Batterie oder in die Krankenabteilung der Abteilung behandelt.
Das Nervenzentrum der Feuereinheit in einer Stellung ist der Gefechtsstand. Dort laufen alle Informationen zusammen. In unmittelbarer Nähe zum Gefechtsstand befinden sich auch die beiden Funkstationen, welche die Verbindungen zur höheren Kommandostelle sicherstellen. Ein erfahrener und zuverlässiger Unteroffizier führt den Gefechtsstand im Auftrag von mir. Er stellt sicher, dass alle Meldungen zeitgerecht eingefordert und abgesetzt werden. Ebenso ist er für die Durchsetzung des Ablöseplans verantwortlich. Im Gefechtstand werden auch alle relevanten Bereitschaftsgrade nachgeführt. Meine Aufgabe ist es sowohl im Gefechtsstand, in der Unterkunft und in der Stellung zum Rechten zu sehen. Es gibt immer etwas zu kontrollieren und zu korrigieren. Je länger die Übung dauert, umso mehr muss ich auf die Details schauen und wenn nötig, Massnahmen zur Behebung von Mängeln anordnen. Die Witterung und die Verpflegung spielen eine grosse Rolle bei der Aufrechterhaltung der Moral. Die Truppe muss bei kalter und nasser Witterung die Möglichkeit haben, sich aufzuwärmen und ihre Kleidung und Ausrüstung zu trocknen. Die Verpflegung muss reichlich und warm ausfallen. Das Betreiben eines Feuereinheitskiosks hilft dabei.
Plötzlich ertönt eine Avia-Meldung aus dem Funkgerät. Die FE 1, ca. 20 km entfernt meldet zwei gegnerische Flugzeuge im Anflug auf das zu schützende Objekt. Sofort meldet der Gefechtsstand über die Wechselsprechanlage dem Feuerleitgerät (Flt Gt) die nahende Gefahr. Sofort renne ich aus dem Gefechtstand, steige auf mein Velo und fahre mit hohem Tempo zum Feuerleitgerät. Kurz bevor ich am Standort des Flt Gt ankomme, sehe ich, wie bereits das Richtgerät mit dem Folgeradar in Richtung der herannahenden Bedrohung einschwenkt. Ich gelange durch die Tarnung an die Tür des Feuerleitgeräts und strecke meinen Kopf hinein, mit der Absicht mir ein Bild der aktuellen Luftlage zu verschaffen. Aufgeregt und erfreut stelle ich fest, dass der Gerätechef (Gt C) das Ziel bereits auf gut 8 km Entfernung erfasst hat. Das zweite Ziel folgt unmittelbar dem ersten Ziel. Kurz bevor das erste Ziel die Distanz für die maximale Feuerauslösungsdistanz von 4 km erreicht hat, befiehlt der Gt C die beiden 35 mm Flab Kan 63/90 in den Zustand Folgen Flt Gt. Dies wird mit einem Hupton an den Geschützen kundgetan. Die Kanoniere der beiden Geschütze legen den entsprechenden Schalter um und nun schwenken beide Geschütze mit dem entsprechenden errechneten Vorhalt auf das anfliegende Ziel ein. Der Gt C beobachtet das Flugverhalten des ersten Ziels und sobald er eine stabile Fluglage ausmacht und das Ziel unterhalb der maximalen Zielbekämpfungsdistanz angelangt ist, löst er das Feuer aus. Im Echteinsatz würden die beiden Geschütze nun mit einer Schussrate von 1’100 Schuss pro Minuten zwei Feuerstösse auslösen. Mit einer hohen Trefferwahrscheinlichkeit werden sie das anfliegende Ziel vom Himmel holen. Sobald die Feuerstösse für das erste Ziel ausgelöst wurden, wechselt der Gt C das Ziel. Dafür braucht das Feuerleitgerät ca. 2 Sekunden. Wiederum wird auf eine stabile Fluglage des zweiten Ziels gewartet und dann das Feuer erneut ausgelöst. Die ganze Aktion der Zielbekämpfung dauerte vom Eingang der Meldung bis zum Absetzen der Meldung, dass beide Ziele erfolgreich durch die FE 6 bekämpft wurden, wenige Minuten. Die effektive Bekämpfung dauerte sogar weniger als 30 Sekunden. Die M Flab ist im Sekundengeschäft tätig. Man sieht nun, wie wichtig die mentale Bereitschaft der Truppe einer FE sein muss. Da es sich hier nur um eine Übung handelt, wird das Feuer selbstverständlich nicht mit scharfer Munition ausgelöst. Die Geschütze sind mit 35 mm Manipuliermunition aufmunitioniert. Bei den beiden gegnerischen Flugzeugen handelte es sich um zwei schwarz-gelb markierte Pilatus PC-9 der Zielflugstaffel 14.
Kurz nach 18 Uhr trifft eine der bei der Truppe unbeliebtesten Meldungen über das Funkgerät im Gefechtsstand ein: “Achtung Meldung, ab 19 Uhr gilt AC-Bereitschaftsgrad “C Vollschutz” für den ganzen Einsatzraum der Batterie 45/2.” Da die Flab eine Truppe der ersten Stunde darstellt, ist sie besonders gefährdet, ein Angriffsziel chemischer Waffen zu werden. Das ist der Hauptgrund dafür, dass die Truppe einer M Flab FE im Einsatz immer gemäss dem AC-Bereitschaftsgrad “C Teilschutz” gekleidet ist. Was bedeutet dies? Die Truppe hat ihren Schutzanzug bereits teilweise angezogen. Die Kampfstoffnachweispapiere sind angebracht und ebenso an neuralgischen Punkte innerhalb der FE-Stellung ausgebracht. Um den Bereitschaftsgrad “C Vollschutz” zu erreichen, müssen nun noch die Schutzmaske, die Handschuhe angezogen und die Kapuze übergezogen werden. Im C Vollschutz ist das Arbeiten äusserst unangenehm. Je nach Witterung beginnt man zu schwitzen. Die Schutzmaske der Schweizer Armee ist zum Glück mit einer Vorrichtung ausgerüstet, welches es erlaubt, aus der Trinkflasche zu trinken. Der neue AC-Bereitschaftsgrad gilt selbstverständlich auch für die ruhende Truppe der Feuereinheit. Schlafen im C Vollschutz ist den Meisten nicht möglich. Bei der ganzen Sache geht es aber um einen wichtigen Punkt für das Überleben im Ernstfall. Das Verhalten im C Vollschutz bei überraschendem C Alarm muss drillmässig beherrscht werden. Dies ist mit ein Grund, warum praktisch in jeder M Flab Felddienstübung mindestens eine Periode im C Vollschutz durchgeführt wird. Die Übungsleitung meint es diesmal gut mit uns, denn bereits um Mitternacht wird der AC-Bereitschaftsgrad wieder auf “C Teilschutz” reduziert. Diesen Befehl kriege ich aber nicht mehr direkt mit, da ich mich mittlerweile ebenfalls in der ruhenden Ablösung befinde und mein Stellvertreter das Kommando über die FE 6 übernommen hat. Erlöst von dem lästigen “Rüssel” finde ich einige wenige Stunden Schlaf in meinem Schlafsack in einer Ecke des Heulagers des Stalls, welcher uns als Unterkunft dient.
Kurz nach 3 Uhr morgens weckt mich der diensthabende Unteroffizier des Gefechtsstandes mit einer neuen Meldung von der Abteilung. Sie lautet “Achtung Meldung: Befehl an FE 6: “CAMBIO”, neuer FBG 2 um 14 Uhr!”
Was dies für die FE 6 und mich bedeutet erfahren Sie in der nächsten Episode aus dem Leben eines M Flab Feuereinheitskommandanten.
Text: Beat Benz Foto: Beat Benz