-23.08.2023-
Die Entbindung vom Auftrag
Kurz nach der Ablösung um 12:00 Uhr wird auf meinen Befehl hin eine Windvermessung für die Feuereinheit (FE) 6 der M Flab Bttr 45/2 durchgeführt. Dies erfolgt im Rahmen der von der Abteilung vorgegebenen periodischen Meteochecks. Dabei wird ein mit Wasserstoff gefüllter Ballon mit einem Radarreflektor gestartet. Der Folgeradar des Feuerleitgeräts (Flt Gt) verfolgt dabei den aufsteigenden Ballon. Bis auf eine Höhe von 3’500 m über Grund werden alle 500 m die Windrichtung und Windgeschwindigkeit im Feuerleitrechner des Flt Gt abgespeichert. Neben der aktuellen Lufttemperatur, Luftdruck und der errechneten ersten Mündungsgeschwindigkeit V0 der jeweiligen 35 mm Flab Kan 63/90, sind die Daten über den aktuell vorherrschenden Wind für die Berechnung der Schiesselemente für die beiden Geschütze zentral. Stimmen die Daten nicht, wirkt sich das negativ auf die Trefferwahrscheinlichkeit der FE aus. Trotz stärker werdendem Regen kann die Windvermessung erfolgreich abgeschlossen werden.
Knapp anderthalb Stunden später meldet der Geschützchef (Gesch C) des Geschützes 1 einen Fehler im Geschützrechner seines Geschützes an den Gefechtsstand. Die 35 mm Flab Kan 63/90 ist bereits mit einer integrierten Diagnosesoftware ausgerüstet. Der Kanonier kann mit Hilfe dieser Diagnose den Fehler auf eine bestimmte Baugruppe einschränken. Dabei erhält er eine Fehlernummer. Diese Fehlernummer wird nun vom Chef des Rückwärtigen mittels Funk an das Lageverfolgungszentrum (LVZ) der Abteilung und der Batterie übermittelt. Auf Stufe Abteilung wird nun entschieden, ob ein Auftrag an die Instandhaltungswerkstatt (Ih We), welche von der Stabsbatterie 45 betrieben wird, erfolgt. Nach wenigen Minuten wird eine Funkmeldung über Instandhaltungskolonne von der Ih We vom LVZ der Abteilung ausgelöst. Sie trifft in ca. 45 Minuten in der Stellung der FE 6 ein, um auf Stufe Abteilung die Lage über die laufenden Reparaturarbeiten verfolgen zu können. Es erfolgen Standardmeldungen «MECCANO», wenn die Instandhaltungskolone abgefahren, eingetroffen, mit der Reparatur begonnen, mit der Reparatur abgeschlossen hat und das Verlassen der FE. Können die Truppenhandwerker und Elektroniker der Stabsbatterie den Defekt nicht selbst beheben, können diese Unterstützung durch die zivile Logistikbasis – sprich RUAG – anfordern. Wenn immer eine M Flab Abt Dienst leistet, ist die RUAG mit einer vorgeschobenen Equipe im Einsatzraum der M Flab Abt stationiert, um die Truppe durch ihre weiterreichenden Instandhaltungsleistungen zu unterstützen. In der Tat ist der Fehler am Geschützrechner nicht durch die Truppe allein zu beheben und die RUAG trifft am späteren Nachmittag ein, um den fehlerhaften Geschützrechner als komplette Baugruppe gegen eine funktionierende auszutauschen. Neben dem Prozess der Zielbekämpfung ist es während einer Felddienstübung auch wichtig, die Logistikprozesse und wie in diesem Fall die Instandhaltung zu trainieren.
Kurz vor 18:00 Uhr ereilt mich von der Funkstation im Gefechtsstand die Meldung, dass meine FE 6 morgen ab 06:00 Uhr vom Auftrag entbunden ist. Diese Meldung bedeutet, dass morgen ab 06:00 Uhr die FE von ihrem taktischen Auftrag entlassen ist und daraufhin mit dem Stellungsabbruch begonnen werden kann. Sofort befehle ich einen Rapport mit meinen direkt unterstellten Unteroffizieren nach dem Ablösungswechsel um 18:00 Uhr, sodass wir nochmals den genauen Ablauf ab dem Zeitpunkt der Entbindung vom Auftrag bis zum Bezug des Bereitstellungsraumes durchsprechen können. Grundsätzlich ist ein Stellungsabbruch ein Standardverhalten einer M Flab Feuereinheit. Es gibt aber immer Spezialitäten welche durch die aktuellen Gegebenheiten wie das Wetter, das Gelände, materielle und personelle Situationen beeinflusst werden. Für uns ist nun das weiterhin andauernde Regenwetter eine solche Spezialität. Es gilt die aktuelle Stellung möglichst ohne Schäden am Material und Land zu verlassen. Ein vom Regen aufgeweichter Boden ist eine besondere Herausforderung während des Stellungsabbruches. Des Weiteren befehle ich dem Motorfahrerunteroffizier meiner Feuereinheit, dass alle Motorfahrer während der anstehenden Nacht genügend Ruhezeit einhalten, so dass wir morgen nach dem Stellungsabbruch mit allen Fahrzeugen die Rückverschiebung an den WK-Standort der Bttr 45/2 antreten können. Ausserdem schärfe ich den anderen Unteroffizieren ein, dass sie und ihre Gruppen bis morgen 06:00 Uhr den ursprünglichen Auftrag der FE 6 weiterhin gewissenhaft zu erfüllen haben. Es ist nämlich so, dass bei einigen Soldaten nach Bekanntgabe der Meldung «Vom Auftrag entbunden» eine gewisse Euphorie über das baldige Ende der anstrengenden Felddienstübung ausbricht. Hier ist nun Führung von den Chefs gefragt.
Am nächsten Morgen beginnt nach dem Einnehmen des Morgenessens 06:00 Uhr der Stellungsabbruch. Wie beim Stellungsbezug steht dabei die ganze FE 6 im Einsatz, es gibt nun keine ruhende Ablösung mehr. Der Stellungsabbruch erfolgt mehr oder weniger in umgekehrter Reihenfolge wie der Stellungsbezug. Als erstes erstellt das Geschütz 2 Fahrbereitschaft, dann das Flt Gt, gefolgt vom Geschütz 1. Parallel erfolgt der Abbruch des Rückwertigen und Abgabe der Unterkunft. Selbstverständlich bleibt die Funkverbindung mit der Bttr 45/2 und der Abteilung über die ganze Dauer der Aktion bestehend. Der Stellungsabbruch geht mit diversen Standardmeldungen einher, welche die vorgesetzten Stellen über den Fortgang der Aktivitäten auf dem Laufenden hält.
Kaum ist das Geschütz 2 fahrbereit, rufe ich über mein Handfunkgerät den dazugehörigen Lastwagen aus der Fahrzeugdeckung ab, so dass dieser in den Stellungsraum fahren und das Geschütz anhängen kann. Im Fall des Geschütz 2 ist das relativ einfach, da das Geschütz nur wenige Meter über die Prügelmatten in die Nähe des Feldweges mittels der beiden Zugstricken gezogen werden kann. Das Regenwetter erfordert besondere Aufmerksamkeit, so dass das Geschütz nicht von dem durch die Prügelmatten ausgelegten Teppich rutscht. Der Gesch C versteht sein Geschäft und bringt mit kurzen und klaren Befehlen sein Geschütz in die richtige Position für das Anhängen an den Lastwagen. Der Stellungsabbruch des Flt Gt ist auch relativ einfach vollzogen. Hier muss vor allem darauf geachtet werden, dass die Kabelrollen für die Daten- und Sprechverbindungen zu den beiden Geschützen und zum Gefechtsstand nicht vergessen werden. Mittlerweile ist auch die Unterkunft so weit geräumt und gereinigt, sodass sie dem Eigentümer mittels eines Protokolls zurückgegeben werden kann. Im Gefechtsstand ist nur noch der Puch mit dem im Fahrzeug eingebauten Funkgerät, welcher die Verbindungen aufrechterhält. Probleme gibt es beim Stellungsabbruch des Geschützes 1. Das war leider zu erwarten. Es steht am weitesten von einem Feldweg entfernt und dementsprechend ist das Herausziehen des Geschützes bei diesem Regenwetter schwierig. Auf halben Weg rutscht das linke Vorder- und Hinterrad vom Prügelmattenteppich in die durchnässte und weiche Wiese. Der zuständige Gesch C versucht mit seiner Mannschaft mit roher Gewalt das Geschütz im wahrsten Sinne «aus dem Dreck» zu ziehen. Das energische «Rupfen» führt aber dazu, dass sich die beiden Räder immer tiefer in den Schlamm graben und das Geschütz nicht wirklich vorwärtskommt. Ich komme nach einer kurzen Besprechung mit dem Geschütz C zum Schluss, dass wir den Landbesitzer über die Situation informieren müssen, zum einen wegen des entstandenen Schadens an seinem Land und mit einer Bitte uns mit seinem grossen Traktor beim Stellungsabbruch zu unterstützen. Leider eignen sich unsere Saurer 6DM Lastwagen nicht wirklich gut, um ein über 7 Tonnen schweres Geschütz aus einer Wiese zu ziehen. Sie haben zu grosse Ballonreifen. Der ältere Sauerer 2DM mit seinen kleinen Rädern und der Doppelbereifung auf der Hinterachse war da viel besser geeignet, aber die 2DMs sind mittlerweile alle Ausserdienst gestellt worden. Zum Glück ist der Landbesitzer gerne bereit, uns beim Stellungsabbruch mit seinem Traktor zu unterstützen. Es stellt sich nämlich heraus, dass er früher Militärdienst als Maschinenführer bei den Genietruppen leistete. Im Nuh ist das Geschütz an den grossen Traktor angehängt. Gekonnt und mit viel Fingerspitzengefühl zieht der Traktor das Geschütz auf den Feldweg, wo bereits der Lastwagen wartet, um es anzuhängen.
Kurz nach 10:00 Uhr sind alle Fahrzeuge im Bereitstellungsraum der FE 6 angekommen und es findet dort die letzte Materialkontrolle statt. Jedes Fahrzeug hat seine eigene Verladeliste und die jeweiligen Chefs sind für die penible Durchführung der Materialkontrolle zuständig. Sie müssen mir den Vollzug ihrer Kontrollen melden. Prompt meldet der Gerätechef des Flt Gt, dass der Erdungspfahl des Windvermessungssortiments fehlt. Wahrscheinlich wurde dieser nach der letzten Windvermessung vergessen gegangen. Also sende ich den Gerätechef zusammen mit 3 Radarsoldaten in den Stellungsraum zurück, um den Erdungspfahl zu suchen. Eine gute halbe Stunde später kehren sie mit dem gefunden Erdungspfahl zurück. In der Zwischenzeit habe ich mit den zuständigen Fahrern und Wagenchefs den Befehl für die Rückverschiebung besprochen. Es bleiben uns noch gut 20 Minuten, bis wir gemäss dem Plan des Verkehrs & Transport Offiziers auf Stufe Abteilung mit der Abfahrt beginnen können. Wenn eine M Flab Abteilung mit all ihren Feuereinheiten und anderen Equipen auf die Verschiebung geht, ist eine zeitliche Staffelung und Zuteilung der Marschrouten unerlässlich, sonst ist das Chaos auf der Strasse vorprogrammiert.
Für die drei Lastwagen mit den beiden 35 mm Flab Kan 63 und dem Flt Gt 75/95 erfolgt die Rückverschiebung an den WK-Standort über einen Umweg. Sie fahren zum Waffenplatz Wangen an der Aare um dort die beiden Geschütze, das Feuerleitgerät und die drei Lastwagen abzuspritzen, da sie durch den Stellungsbezug und Stellungsabbruch arg verschmutzt wurden. Ebenso werden dort alle Prügelmatten ebenfalls mit Hochdruck gereinigt. Durch das Regenwetter stehen sie regelrecht vor Dreck.
Kurz nach 17:00 Uhr trifft das letzte Fahrzeug meiner Feuereinheit im Fahrzeugpark der M Flab Bttr 45/2 an ihrem WK-Standort ein. Nachdem die Fahrzeuge und das Einsatzmaterial gereinigt wurden, können wir uns alle in der Unterkunft nun um die Reinigung der persönlichen Ausrüstung kümmern. Ganz am Schluss wartet eine warme Dusche in der Unterkunft auf uns, um uns von den gut drei Tagen im Feld abzuwaschen. Für die Truppe gibt es nach dem Nachtessen einen kurzen Ausgang bis 22:00 Uhr. Der Feldweibel wird es heute nicht schwer haben seine Schäfchen ins Bett zur bringen, wir sind alle ziemlich müde nach der intensiven Felddienstübung. Für mich und meine anderen Offizierskollegen liegt leider kein Ausgang drin. Wir führen unsere batterieinterne Nachbesprechung durch und bereiten uns auf die letzte Aktion der diesjährigen Felddienstübung vor – die Schlussbesprechung.
Darüber mehr in der letzten Episode aus dem Leben eines M Flab Feuereinheitskommandanten.
Text und Foto: Beat Benz
Ein herzliches Dankeschön an all unsere Sponsoren.