-20.06.2024-
Während des Vietnam Krieges realisierte die amerikanische Luftwaffe, dass man für zukünftige Konflikte (Warschauer Pakt?) eine spezielle Ausbildung für die Kampfpiloten braucht. Man wollte Einheiten, die Taktik und Einsatzverfahren eines möglichen Gegners simulieren können. Dies führte zur Bildung sogenannter Aggressor Staffeln. In Europa wurde deshalb die 527th Tactical Fighter Training Aggressor Squadron am 1. April 1976 auf dem englischen Stützpunkt Alconbury in Dienst gestellt.
Hauptaufgabe war das Verbessern der Luftkampfausbildung der USAF- und NATO-Verbände in Europa durch realistische Simulation einer möglichen gegnerischen Bedrohung. Wichtigster Gegner als Jagdflugzeug war damals der MiG-21 FISHBED in verschiedenen Versionen. Um diesen Flugzeug Typ zu simulieren, eignete sich der F-5E TIGER II bestens. Die USAF konnte zahlreiche neue F-5E mehr oder weniger gratis übernehmen. Die Flugzeuge wurden ursprünglich für die Luftwaffe von Südvietnam produziert, konnten aber auf Grund des Kriegsverlaufes nicht mehr geliefert werden. Am 21. Mai 1976 wurden die ersten 8 F-5E TIGER II an Bord einer C-5A GALAXY nach Alconbury transportiert. Weitere 12 Flugzeuge folgten in den nächsten Monaten. Die Piloten wurden handverlesen aus der gesamten USAF rekrutiert. Luftkampferfahrung war Voraussetzung.
F-5E TIGER II der 527th TFTAS in Farben der sowjetischen Luftwaffe
Das sowjetische Luftabwehrsystem war im Vergleich zur NATO völlig unterschiedlich. Die Jagdflugzeuge wurden immer vom Boden geleitet, die Piloten hatten selbst kaum Handlungsspielraum. Sie wurden mittels «Ground controlled intercept» (GCI) geführt. Die Aggressor Staffeln waren bestrebt, dieses System zu kopieren. Deshalb operierten sie fast nie ohne eigene GCI-Kontroller. Im Luftkampf selbst hatten die Aggressor-Piloten jedoch keine gesetzten Limiten, sie flogen mit hoher g-Belastung die Waffen-Parameter der sowjetischen Luft-Luft Lenkwaffen AA-2 ATOLL.
Sehr bald erfolgten Aggressor Einsätze zu Gunsten anderer NATO-Staaten.
Dies weckte nun auch das Interesse einiger Schweizer Piloten, nicht zuletzt im Hinblick auf die Einführung des F-5E/F in der Schweiz. Dank dem Verständnis und der Übernahme von Verantwortung durch den damaligen Kommandanten der FF Trp, Korpskommandant Kurt Bolliger, besuchte bereits im Juni 1977 der damalige Oberstlt i Gst Paul Leuthold die 527th Tactical Fighter Training Aggressor Sqdn in Alconbury, England zu einer ersten Kontaktaufnahme. Daraus entstand dann eine über Jahre dauernde Zusammenarbeit mit der Aggressor Staffel. In England jeweilen in Gesprächen (2-3 Piloten/Nof) ohne Flugdienst, in der Schweiz zweimal mit Flugdienst auf schweizerischen F-5F Doppelsitzern.
1978 erfolgte der Besuch von USAF-Major Rich Freienmuth in Payerne. Er konnte in einem MIRAGE Doppelsitzer die Eigenheiten der Schweizer Luftwaffe und der Geografie kennen lernen. Am letzten Tag seines Aufenthalts konnte er «Stammesangehörige» der Familie im Kanton Thurgau besuchen.
1979 gab es den erstmaligen Besuch mit Flugdienst in der Schweiz. Die ganze Angelegenheit wurde auf schweizerischer Seite äusserst diskret behandelt – die Neutralität liess grüssen. Die USAF Aggressor Delegation reiste in Zivilkleidern mit der Swissair in die Schweiz und trug zum Flugdienst Schweizer Kombis. Das einzig amerikanische war der mitgebrachte eigene Helm. Für die USAF GCI Kontroller ergab sich die einzigartige Möglichkeit für einen Mitflug im Tiger-Doppelsitzer, da die USAF keine F-5F im Inventar hatte.
Der Auftrag der Aggressor bestand jedoch nicht nur aus fliegen. Es wurde einige Zeit im Theoriesaal mit Briefings aufgewendet. In rund 10 Stunden gab es Unterricht (dazumal mit Dia’s) und Diskussionen zu den Themen Doktrin, Taktik, Philosophie und Ausbildung der östlichen Piloten. Daraus ging klar hervor, dass die Aggressor Piloten nachrichtendienstlich absolut auf dem neuesten Stand sind. Es wurde uns jeweilen bisher unbekanntes Bildmaterial über modernstes sowjetisches Gerät gezeigt. Die abgegebenen technischen Daten und Flugparameter des MiG-21 liess schon damals vermuten, dass die USAF im Besitz derartiger Flugzeuge war, was sich später dann auch bestätigt hat.
Diese Erkenntnisse mussten dann in unserer Flugwaffe entsprechend verbreitet werden.
USAF Aggressor GCI als Passagier von Hptm Hochuli im F-5F Doppelsitzer
Auch der nächste Kdt FF Trp, Korpskommandant Arthur Moll, unterstützte das Vorhaben ausdrücklich. Auch bei diesen weiteren Kontakten in England und der Schweiz war der FF-Nachrichtendienst selbstverständlich involviert.
1982 gab es den nächsten Besuch mit Flugdienst in der Schweiz. Auch diesmal erfolgte die Aktion sehr diskret, die Anreise erfolgte wiederum in Zivil mit der Swissair. In der Schweiz flogen die USAF-Piloten diesmal mit ihrer eigenen Pilotenausrüstung. Der Kdt der 527th Tactical Fighter Training Aggressor Squadron, sowie zwei weitere Piloten waren für eine Woche in Payerne. GCI-Kontroller waren diesmal keine dabei.
Einer der beteiligten Piloten, Captain Charles «Smokey» Sundell hat diesen Besuch im Jahr 2013 gegenüber einer amerikanischen Fachzeitschrift – mit ausdrücklicher Bewilligung aus der Schweiz – wie folgt beschrieben: «The difference with the deployment and others like it was that we did not take our own F-5E with us, but travelled by civilian airliner as civilians. We were there to fly with the Swiss Air Force instructor pilots as they prepared for the summer training with their reservists. We flew in the front seat of their two seat F-5F with an instructor in the back seat. Their jets were pristine with low hours and better radars that we had in our F-5E at Alconbury. The flights were all two vs two F-5 against MIRAGE. We even did formation take-offs on the wing of the MIRAGE! We also got back-seat rides in their two-seat MIRAGE, nothing like seeing the peaks of the Matterhorn and Eiger from 100ft out the top of your canopy! Two hops a day with a nice lunch between and party at night, which was a typical day.”
Charles Sundell, Paul Taylor, Ueli Kuhn und Peter Egger vor einem Einsatz in Payerne
Vor dem Start
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Mitte Woche gab es für die amerikanischen Piloten einen Besuch auf der Axalp.
Gleichzeitig war der Kdt der US Air Force, **** General Charles A. Gabriel in Zivil zu Besuch bei den Fliegertruppen und am selben Tag auch auf der Axalp. Dies zeigt, wie diskret damals die Zusammenarbeit mit ausländischen Luftwaffen gehandhabt wurde.
Wegen niedrigen Temperaturen haben wir die Aggressor Piloten mit Lederjacken von Schweizer Piloten ausgerüstet, was dann zu einem interessanten Zusammentreffen zwischen dem General und seinen Piloten führte. General Gabriel fragte den «amerikanischen Tüzi», ob er MIRAGE oder TIGER Pilot sei. Die Antwort von «Smokey» Sundell kam prompt: «Sorry General, I am one of your guys”:
Links General Gabriel, rechts Charles «Smokey» Sundell mit der Jacke von «Tüzi» Wicki
Die beteiligten Piloten in Payerne
Stilgerechte Verabschiedung in Payerne, v.l.n.r Captain Charles Sundell, Col Van Sanders (St Kdt), Major Paul Taylor
Charles «Smokey» Sundell hatte nach seiner Zeit bei den Aggressoren eine weitere interessante Aufgabe innerhalb der US Air Force. Er wurde Mitglied bei der damals höchst geheimen Formation «Red Eagles» der USAF, welche ab der Tonopah Range auf russischen Flugzeugen ebenfalls den möglichen Gegner simulierten. Dort flog er mehr als 300 Einsätze auf MiG-21 FISHBED Kampfflugzeugen
Bei einem unserer Besuche in Alconbury kamen wir mit dem damaligen Aggressor Piloten Captain Dave «Shack» Brackett zusammen. Einige Jahre später kam er im Range eines Colonels als US Air Attaché nach Bern und wurde guter Freund unserer Flugwaffe. Dank dieser bereits bestehenden Freundschaft hat er zu unseren Gunsten einige Probleme gelöst.
Die letzte Mission der 527.TFTAS auf F-5E TIGER wurde am 22. Juni 1988 geflogen. Damit verbunden war eine Verschiebung auf den Flugplatz Bentwaters in Suffolk und die Umrüstung auf F-16C. Der Name wechselte auf 527th Aggressor Squadron. Im September 1989 kam die Nachricht, dass alle Aggressor Staffeln der USAF aufgelöst würden. Ein Jahr später, nach Abgabe der F-16 nach Spangdahlem in Deutschland, wurde die Staffel offiziell aufgelöst.
Am 29. September 2000 wurde neu die 527th Space Aggressor Squadron aufgestellt. Ein nicht fliegender Verband, der sich um Bedrohungen aus dem Weltraum kümmert.
Seit 2005 gibt es bei der USAF wieder Aggressor Squadrons mit F-16C und neuerdings sogar mit F-35. Leider ist keine Staffel in Europa stationiert.
Bild und Text: René Zürcher
Ein herzliches Dankeschön an all unsere Sponsoren.