-26.10.2023-

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 schritt die Weiterentwicklung der Kampfflugzeuge mit raschem Tempo voran. Seit dem Koreakrieg 1950 – 1953 wurden in den meisten Streitkräften Helikopter eingeführt, darunter solche, für den Angriff auf Ziele am Boden. Die 20 mm Flab Kanonen, die vor und während des Zweiten Weltkriegs bei den Fliegerabwehrtruppen (Flab) einführt wurden, waren Mitte der 1950er Jahre veraltert. 1954 wurde eine neue leistungsfähigere 20 mm Flab Kan von Oerlikon-Bührle beschafft. Dieses Geschütz konnte aber nur eine Teilantwort auf die veränderte Bedrohung sein. Es war klar, dass nur ein neues Mittelkalibergeschütz mit entsprechender radarisierter Feuerleitung der aufkommenden Gefahr durch schnelle tieffliegende Erdkampflugzeuge und neuartige Kampfhelikopter gerecht werden konnte.

Beschaffungen

Bereits 1959 führten die Flieger- und Fliegerabwehrtruppen (FF Trp) Versuche mit 30 mm Flabpanzer (Hispano-Suiza), 30 mm Vierlings-Feuereinheit (Hispano-Suiza) und 35 mm Zwillings-Feuereinheit (Oerlikon-Bührle) durch. Mit dem Bundesbeschluss vom 13. Dezember 1961 wurden 247 Millionen Franken für 37 radarisierte Mittelkaliber-Fliegerabwehrbatterien gutgeheissen. Der Entscheid fiel zu Gunsten der 35 mm Flab Kan 63 der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle AG mit dem radarisierten Feuerleitgerät (Flt Gt) 63 Superfledermaus der Firma Contraves AG.

Am 15. Dezember 1965 bewilligte das Parlament einen Kredit von 146,3 Millionen Franken für die Umrüstung der beiden verbleibenden radarisierten 7.5 cm Flab Regimenter 2 und 3 auf das 35 mm Waffensystem M Flab. Für die Flugplatzflabbatterien wurden am 7. Oktober 1965 für 144 Millionen Franken weitere 35 mm Flab Kan 63 mit dem kampfwertgesteigerten Flt Gt 69 Superfledermaus befürwortet.

Mit der Botschaft vom 28. Januar 1976 bewilligte das Parlament 310 Millionen Franken für die Beschaffung von 45 seit 1966 durch die Firma Contraves AG entwickelte Flt Gt 75 Skyguard mit integriertem Suchradar. Diese lösten die nicht mehr zeitgemässen Flt Gt 63 Superfledermaus ab. Die dafür geringfügig angepasste 35 mm Flab 63 wurde zur 35 mm Flab 63/75. Am 25. September 1979 bewilligte die Bundesversammlung weitere 216 Millionen Franken für die Folgebeschaffung (2. Tranche) weiterer Flt Gt 75. Die Umrüstung der M Flab Feuereinheiten der Flab-Brigade 33 konnte damit ohne Unterbruch weitergeführt werden. Im darauffolgenden Jahr wurden 198 Millionen Franken für die restlichen Flt Gt 75 der Flab-Brigade 33 inkl. Trainingssimulatoren und allgemeines Zubehörmaterial zugesprochen. Durch die Bewilligung dieses Kredits wurde 1983 die gesamte M Flab der Flab Brigade 33 umgerüstet.

1989 wurden mit dem Rüstungsprogramm ein Kredit für die Kampfwertsteigerung von 108 35 mm Flab Kan 63/75 zugesprochen; die neue Bezeichnung lautete Flab Kan 63/90. Der Bundesrat verabschiedete am 27. März 1991 das Rüstungsprogramm, unter anderem mit der Folgebeschaffung der kampfwertgesteigerten 35 mm Flab Kan 63/90.

Im Erprobungszentrum Ochsenboden (SZ) der damaligen Firma Oerlikon-Contraves AG wurde am 14. Februar 1996 der Truppe das letzte der insgesamt 188 kampfwertgesteigerten 35 mm Flab Kan 63/90 übergeben. Bei der erfolgreichen Kampfwertsteigerung konnte der vom Parlament bewilligte Kredit von 490 Millionen Franken um rund 8% unterschritten werden.

Mit dem Rüstungsprogramm 2015+ konnte für 98 Million Franken eine Nutzungsdauerverlängerung beschafft werden, welche erlaubte, sämtlich noch vorhandene M Flab Feuereinheiten auf den Stand Sensorverbund BODLUV anzugleichen. Der Sensorverbund BODLUV erlaubt die zentrale Einsatzleitung mit Feuerauslösung ab Einsatzzentrale Luftverteidigung.

 

Technische Beschreibung

Am Anfang der Entwicklungsgeschichte bei der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle in Zürich stand die Frage nach dem geeigneten Kaliber für eine neue Mittelkaliberkanone im Zentrum. Während des zweiten Weltkriegs erwies sich das Kaliber 40 mm als eines der leistungsfähigsten Kaliber mit Bezug auf Reichweite und Wirkung im Ziel für mittlere Fliegerabwehrgeschütze. Es war für Oerlikon-Bührle klar, dass aus Wettbewerbsgründen ein Geschütz mit dem Kaliber 40 mm keine Option darstellte. Das Resultat einer umfassenden Kaliberstudie war, dass eine Maschinenkanone mit dem Kaliber 35 mm eine optimale Symbiose von Reichweite und Wirkung gegen tieffliegende Kampfflugzeuge und Helikopter aufwies. Weiter wurde von den Ingenieuren bei Oerlikon-Bührle beschlossen, dass das neue Mittelkalibergeschütz zwei unabhängige 35 mm Maschinenkanonen mit je einer eigenen automatischen Munitionszuführung beinhalten sollte. Somit entstand ein Zwillingsgeschütz.

Die Bezeichnung des ersten 35 mm Zwillingsgeschützes lautete GDF001, wobei das «G» für «Geschütz, «D» für das Kaliber 35 mm und «F» für «Feld» steht. Das Geschütz besteht aus einer Unterlafette, welche für den Transport und Stabilisierung des Geschützes dient und eine Oberlafette, welche die eigentliche Waffenanlage und Zieleinrichtung enthält.

35 mm Flab Kan 63 – GDF001 – in feuerbereitem Zustand

Die Unterlafette umfasst das Fahrgestell mit einer Deichsel und drei hydraulisch betriebenen Stützen. Zwei Stützen sind an ausschwenkbaren Spreizen angebracht. Um die Stabilisierung des Geschützes beim Schiessen zu verbessern, ist es notwendig, dass der Schwerpunkt der Unterlafette so tief wie möglich zu liegen kommt. Daher werden die vier Räder mittels hydraulischen Schwenkmechanismus eingeschwenkt. Mittels den drei Stützen wird das ganze Geschütz horizontiert, sodass es zusammen mit dem Flt Gt auf eine gemeinsame geometrische Ebene gebracht wird. Dies wiederum ist für die Präzision beim Schiessen entscheidend. Die Bedienung der Hydraulikanlage erfolgt über einen elektrisch angetriebenen Pumpenmotor oder durch eine handbetriebene Pumpe. Zusätzlich ist eine Luftdruckbremsanlage und ein Zubehörfach in der Unterlafette untergebracht. Am hinteren Ende der Unterlafette befindet sich die Bedienungsvorrichtung für die drei hydraulischen Stützen und die Schwenkvorrichtung der Räder. Die Unterlafette dient als Anhänger und kann von einem Lastwagen gezogen werden.

35 mm Flab Kan 63 – GDF001 – im fahrbereiten Zustand

Die Oberlafette ist mit einem Drehkranz mit der Unterlafette verbunden. Der Aufbau der Oberlafette umfasst den Richtstand, die beiden Munitionsbehälter mit je einem Reservemagazin, die Waffenwiege, die Antriebsmotoren für die Seite und Höhe der Waffenanlage und die dazugehörige Elektronik.

Im Richtstand hat der Kanonier K1 seinen Arbeitsplatz. Seine Aufgabe ist es, das Geschütz zu bedienen und in letzter Konsequenz auch abzufeuern, wenn das Geschütz selbständig ein Ziel bekämpfen soll. Er sitzt auf einem Sattel, welcher auf dem Kasten mit der Geschützelektronik angebracht ist. Zwischen seinen Beinen befindet sich ein Richtknüppel (Joystik). Mit diesem kann er das Geschütz in der Seite und in der Höhe im elektrischen Antrieb bewegen. Am Richtknüppelgehäuse ist ein wichtiger Schalter angebracht. Mit diesem Schalter wird die Betriebsart «Lokal» oder «Flt Gt» ausgewählt. Bei «Lokal» wird das Geschütz vom K1 kontrolliert. In der Betriebsart «Flt Gt» erfolgt die Kontrolle durch das Feuerleitgerät Superfledermaus (später das Flt Gt 75), welches mit zwei Felddrähten (Datenübertragung/ Sprechverbindung) mit dem Datenkontrollkasten im Geschützaggregatanhänger verbunden ist. Im Fernbetrieb durch das Flt Gt werden die von dem Feuerleitrechner ermittelten Geschützwinkeldaten dem Geschütz übermittelt, um damit das Geschütz auf den Vorhaltepunkt des zu bekämpfenden Ziels auszurichten. Im lokalen Betrieb dient dem K1 ein elektromechanisches Xaba-Visier der Zielerfassung und Bekämpfung. Dieses Visier ist auf einem Ausleger montiert, welcher auf der rechten Schulter des K1 ruht. Das Visier muss zusätzlich zum K1 vom K2 auf der rechten Seite der Oberlafette mitbedient werden. Für die Stromversorgung des Xaba-Visiers dient eine Batterie. Der K1 muss mit seinem linken Fuss einen Schalter für den Betrieb des Xaba-Visiers betätigen. Mit dem rechten Fuss betätigt der K1 den mechanischen Abzug für die beiden 35 mm Maschinenkanonen. Im elektrischen Betrieb werden die Waffen durch einen elektrischen Abzug, welcher ebenfalls durch den linken Fuss des K1 betätigt wird, abgefeuert. Aus Sicherheitsgründen befindet sich links vom Sitz des K1 eine mechanische Seitenarretierung. Sie verhindert das Drehen der Oberlafette im elektrischen und manuellen Betrieb. Durch zwei Schalthebel kann der K1 vom elektrischen auf den Handbetrieb in der Seite und Höhe umschalten. Für den manuellen Betrieb muss der K1 je eine Handkurbel für die Seite und Höhe bedienen. Vor dem K1 ist eine Metallplatte angebracht. Sie trennt ihn vom hinteren Teil der Waffenanlage. Diese Metallplatte soll ihn vom Gasschlag, welcher beim Abfeuern der beiden Maschinenkanonen entsteht, schützen. Links vom K1, zwischen dem Munitionsreservemagazin und dem Munitionsbehälter hat der K3 seinen Sitzplatz. Er unterstützt den K1 in der Luftbeobachtung und lädt bei Bedarf den linken Munitionsbehälter mit frischen Ladestreifen mit je sieben Patronen aus dem Munitionsreservemagazin nach. Wie bereits erwähnt, bedient der K2 im Fall der lokalen Zielbekämpfung das Xaba-Visier. Ihm stehen dafür zwei Drehschalter zur Verfügung. Damit wird die vom K1 geschätzte und an den K2 übermittelte Zielfluggeschwindigkeit und Entfernungsdistanz zum Ziel eingestellt. Für das Anvisieren von Bodenzielen dient ein einfaches Fernrohr, welches am Xaba-Visier befestigt ist.

Xaba-Visier

Die Munition wird mittels Ladestreifen mit je sieben 35 mm Patronen in die beiden Munitionsbehälter beladen. Durch einen Kettenfördermechanismus werden die Granaten seitlich in die beiden Waffen zugeführt. Die beiden 35 mm Maschinenkanonen KDB sind Teil der Waffenwiege. Am hinteren unteren Bereich der Waffenwiege sind die beiden Abzugsmagnete angebracht. Die beiden Waffen lagern auf der Vor- und Rücklaufbremse. Die verschossenen Hülsen der 35 mm Patronen werden nach unten ausgeworfen. Die Maschinenkanone KDB ist gasbetrieben und hat eine Kadenz von 550 Schuss pro Minute. Am Ende des Laufs befindet sich die Mündungsbremse. Es gibt sie in zwei Ausführungen. Die eine hat ein Gestell mit zwei Messspulen. Diese Spulen haben einen Abstand von einem halben Meter und dienen der Messung der individuellen Geschwindigkeit jeder abgefeuerten 35 mm Granate oder Geschoss. Diese Information wird über das Geschütz und der Datenleitung zurück in das Flt Gt geleitet, um in die aktuelle Kalkulation der Vorhaltberechnung einzufliessen. Die Rohre können zwecks Instandhaltung und Wartung durch einen Bajonettverschluss vom Waffengehäuse getrennt werden. Die Waffenabdeckung kann geöffnet und die Zuführplatte demontiert werden. Der Verschluss besteht aus weiteren beweglichen Teilen und dem Zündstift. Links und rechts der Waffen befinden sich die Schliessfederrohre mit der Schliessfeder, den Schliessfederhülsen und den Mitnehmern. Die Mitnehmer sind für den Vor- und Rücklauf des Verschlusses verantwortlich. Um die Waffen vor dem Schiessen spannen zu können, steht eine Spannvorrichtung mit Drahtseilen zur Verfügung. Diese werden beim Ladevorgang durch den K2 und K3 bedient.

Am vorderen Ende der Oberlafette befinden sich links und rechts der Waffenwiege die beiden Höhen-ausgleicher. Auf der linken Seite befindet sich eine Einrichteoptik, welche durch den K3 bedient wird. Sie dient für das Einrichten mit dem Flt Gt und deren Überprüfung auf Fixpunkte im Gelände. Da sich die Oberlafette beim elektrischen Betrieb sehr rasch dreht, sind der K2 und K3 durch eine herunter-klappbare Schranke zwischen dem Munitionsreservebehälter und den Munitionsbehältern vor einem möglichen Herunterschleudern geschützt.

Für Versorgung durch elektrischen Strom steht der Flab Kan 63 ein Aggregat auf einem einachsigen Anhänger zur Verfügung. Das Aggregat besteht aus einem Benzinmotor, welcher einen Generator antreibt und den dazugehörigen Bedien- und Anzeigeelementen, ebenso ist ein Benzintank eingebaut. Der Generator erzeugt die für den Antrieb des Geschützes notwendige elektrische Spannung, welche mittels mehrerer ausziehbarer Kabel an das Geschütz geliefert werden. Ebenso läuft die Daten- und Sprechverbindung zwischen Flt Gt und dem Geschütz über den Datenkontrollkasten im oberen Bereich des Aggregatanhängers.

Aggregat zu Flab Kan 63 / GDF001

Sämtliche Funktionen der 35 mm Flab Kan 63 (GDF001) können auch ohne elektrischen Betrieb – sozusagen von Hand – bedient werden. Die Erfolgschancen bei der Bekämpfung von schnell und tief fliegenden Luftzielen sinken jedoch beim Betrieb von Hand. Die Waffe kann für Wartungsarbeiten, zum Beispiel für die Reinigung nach dem Schiessen, durch die Geschützmannschaft zerlegt werden.

Um ein ungewohntes Schiessen in gewisse Richtungen zu verhindern, können gewisse Sektoren in der Seite und Höhe gesperrt werden. Dies erfolgt durch eine Vorrichtung, welche an der linken vorderen Seite der Oberlafette angebracht ist. Zusätzlich gibt es eine mechanische Schiess-Sektorbegrenzung, die sich an der Unter- und Oberlafette befestigen lässt.

Kampfwertsteigerungen

Im Rahmen der 1980er beschlossenen Kampfwertsteigerung der Flab Kan 63/75 wurden weitgehende Verbesserungen und Umbauten vorgenommen. Mit der Kampfwertsteigerung änderte sich die Bezeichnung des Geschützes zu Flab Kan 63/90. Die Bezeichnung des Herstellers für dieses Geschütz lautet GDF005. Die ganze Geschützsteuerung wurde digitalisiert. Das Aggregat auf einem separaten Anhänger wurde durch ein an die Unterlafette befestigtes Aggregat ersetzt. Für die autonome Bekämpfung von Luftzielen wurde der Richtstand komplett umgebaut. Zur raschen optischen Zielerfassung ist ein Kollimator angebracht. Er besitzt einen grösseren Blickwinkel als die Visieroptik. Im Gegensatz zur Visieroptik ist seine optische Achse stets parallel zu der Rohrachse. Dem K1 steht nun ein modernes Visier «GunKing» mit einer Laser-Distanz-Messung zur Verfügung. Mit diesem Visier kann der K1 nun erkannte Luftziele selbständig erfassen und verfolgen. Die elektronische Feuerleitung des Visiers unterstützt den K1 bei der Feuerauslösung durch akustische Signale. Auf der rechten Seite des Bedienpultes befindet sich das Ein-/Ausgabegerät. Es dient dem Informationsaustausch zwischen Bediener und Rechner. Auf dem Ein-/Ausgabegerät befindet sich ein alphanumerisches Anzeigefeld und eine Tastatur mit 16 Tasten. Über die Tastatur werden Daten in den Rechner eingegeben. Eingabesequenzen sind in vorprogrammierten Menus zusammengestellt. Die Anzeige vermittelt dem Bediener Informationen über den aktuellen Programmstand.

Richtstand eines GDF005 Geschützes

Durch einen in die Stirnstütze des Visiers eingebauten Schalter aktiviert der K1 die Laserdistanzmessung. Die bisherige Funktion des Nachladens des Munitionsbehälters durch die beiden Kanoniere K2 und K3 wird durch Nachladeautomaten übernommen. Somit wird die Flab Kan 63/90 nur noch von einem Kanonier im Einsatz bedient. Durch die Nachladeautomaten verkürzt sich das Nachladen des Munitionsbehälters deutlich. Durch eine Tür aus Stahl ist der K1 auch von hinten im Richtstand gegen allfällige Splitter geschützt.

35 mm Flab Kan 63/90 in Feuerstellung auf einem Flabschiessplatz

Dem Geschützchef, in der Regel ein Unteroffizier, steht ein optisches Zielzuweisungsgerät (OZ) zur Verfügung. Das OZ dient zur Luftraumüberwachung. Das durch das OZ erfasste Ziel kann dem K1 automatisch zugewiesen werden. Das OZ ist über ein Kabel mit dem Geschütz verbunden. Es dient ebenso der Kommunikation mit dem K1 und dem Feuerleitenden im Flt Gt.

Optisches Zielzuweisungsgerät

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Technische Daten der Flab Kan 63/90 und 63/12

Abmessungen Gewicht

Länge über alles (feuerbereit)                                                                                              9.28 m

Höhe über alles (feuerbereit)                                                                                               2.82 m

Breite, alle Spreizen ausgefahren (feuerbereit)                                                                4.50 m

Raumbedarf beim Drehen der horizontalen Rohre mit V0 Messbasen                       4.63 m

Gewichte

Geschütz fahrbereit                                                                                                             7’250 kg

Geschütz feuerbereit mit Munition                                                                                  7’750 kg

Ausgebaute 35 mm Maschinenkanone KDB                                                                    400 kg

Rohr ohne Mündungsbremse                                                                                              123 kg

Waffenanlage

Waffentyp                                                          Oerlikon Bührle 35 mm Maschinenkanone KDB

Waffenantrieb                                                                                                               Gasdrucklader

Anfangsgeschwindigkeit des Geschosses                                                    ca. 1’175 m / Sekunde

Kaliber                                                                                                                                         35 mm

Rohrlänge                                                                                                                                   3.15 m

Kadenz pro Waffe                                                                                   ca. 550 Schuss pro Minute

Kadenz pro Geschütz                                                                            ca. 1’100 Schuss pro Minute

Geschossflugzeit auf 3’700 m                                                                                   ca. 5 Sekunden

Seiten- und Elevationsbewegung

Drehbereich Seite                                                                                                               unbegrenzt

Max. Drehgeschwindigkeit                                                                          ca. 2’700 ‰ / Sekunde

Dauer einer vollen Drehung im elektrischen Betrieb                                           ca. 3 Sekunden

Elevationsbereich elektrisch                                                                                    -88 bis 1’635 ‰

Elevationsbereich manuell                                                                                     -142 bis 1’698 ‰

Max. Richtgeschwindigkeit                                                                                              ca. 1’100 ‰

Dauereiner Elevationsbewegung von 0 auf 1’600 ‰ elektrisch                      ca. 1.5 Sekunden

Munition und Munitionsvorrat

Munitionstypen

Minenbrandgranate mit Momentanzünder

Minenbrandgranate mit Momentanzünder und Leuchtspur

Minenbrandgranate mit Bodenzünder

Übungsgeschoss mit Leuchtspur

Kurbahnübungsgeschoss

Vorrat pro Munitionsbehälter unausgeführt                                      5 Ladestreifen à 35 Patronen

Vorrat pro Munitionsbehälter zugeführt                                             8 Ladestreifen à 56 Patronen

Vorrat pro Lader                                                                                    12 Ladestreifen à 84 Patronen

Vorrat pro Geschütz                                                                           40 Ladestreifen à 280 Patronen

Nachladezeit der Nachladeautomaten                                                                        3 – 4 Sekunden

Taktische Gefechtsleistung

Zielspektrum                                                                                  Kampfflugzeuge, Kampfhelikopter

taktische Drohnen, grössere Lenkwaffen

Einsatzdistanzen mit Feuerleitung ab Flt Gt                                                            maximal 4’000 m

Einsatzdistanzen mit lokaler Feuerleitung mit Visier «GunKing»                                  bis 3’750 m

Feuerdauer pro Serie                                                                                                   0.2 – 2.5 Sekunden

Einsatz

Die 35 mm Flab 63 und ihre Weiterentwicklungen werden bei der Mittleren Fliegerabwehr (M Flab) eingesetzt. Die M Flab löste im Wesentlichen die Schwere Flab – ausgerüstet mit 7.5 cm Flab Kan 38 – ab. Zu Beginn ihrer Einsatzzeit übernahm die M Flab neben Objektschutzaufgaben auch den Schutz der eigenen Bodenkräfte gegen Tiefflieger- und Kampfhelikopterangriffe unmittelbar hinter der Front. Beim Objektschutz wurden vorrangig Einrichtungen der FF Trp und später der Luftwaffe wie z.B. Flugplätze und BL-64 Bloodhound Stellungen geschützt.

Die kleinste Formation der M Flab, welche selbständig den Kernauftrag der Zielbekämpfung erbringen kann, ist die Feuereinheit. Sie besteht aus einem Flt Gt und zwei 35 mm Flab Kan 63. Eine M Flab Batterie besteht aus mehreren M Flab Feuereinheiten. Ein M Flab Abteilung besteht aus einer Stabsbatterie und mehreren Kampfbatterien. Nach der Auflösung der Schweren Flab Formationen wurden die Zielzuweisungsradare (ZZR) TPS-1E der M Flab übergeben. Zusammen mit einer Einsatzzentrale 63 besass eine M Flab Abt die Möglichkeit zentral den Feuerkampf mit mehreren Feuereinheiten zu führen. Dafür wurden die Zieldaten der weiterreichenden ZZR der Radarkompanie über die Einsatzzentrale an die beste für die Zielbekämpfung aufgestellte M Flab Feuereinheit übermittelt. Die Übermittlung der Daten erfolgte über Funk oder Telefon. Zu Beginn der 1980er Jahren wurde dann die ZZR und die Einsatzzentralen 63 ausser Dienst gestellt. Bis zur Einführung des Sensorverbunds BODLUV 2007 wurde der Objektschutzauftrag durch die M Flab ohne zentrale Einsatzleitung erfüllt. Einzig mit der Flab Feuer- und Fliegerbewegungskoordination (FEBEKO) fand eine minimale Koordination statt. Die FEBEKO sollte sicherstellen, dass die Luftwaffe ihre Flugzeuge mit grösstmöglicher Bewegungsfreiheit einsetzen und die Fliegerabwehr gegnerische Luftfahrzeuge mit möglichst hoher Effizienz bekämpfen kann. Im Nachgang der Terroranschläge in den Vereinigten Staaten 2001, bestand auch in der Schweiz ein Bedürfnis, wichtige Infrastrukturen gegen asymmetrische Bedrohung (z.B. entführtes ziviles Verkehrsflugzeug oder Klein-flugzeug) aus der Luft zu schützen. Dafür wurde das Projekt Sensorverbund BODLUV ins Leben gerufen. Dabei handelt es sich um eine Vernetzung von mehreren M Flab Feuereinheiten. Die einzelnen vernetzten Flt Gt 75 generierten Radardaten wurden zu einer gemeinsamen Luftlage korreliert. Diese gemeinsame Luftlage bildet die Voraussetzung für eine zentrale Einsatzleitung durch einen Einsatzoffizier, welcher in der Einsatzzentrale Luftverteidigung (EZ LUV) seinen Arbeitsplatz hat. Die Zielbekämpfung erfolgt nach klaren Einsatzregeln, welche eine visuelle Identifizierung des verdächtigen Luftziels durch hohe Amtsträger vorsieht. Daher ist im Sensorverbund die lokale Feuerbekämpfung auf Stufe M Flab Feuereinheit nicht vorgesehen.

Ausbildung

Die Ausbildung an der 35 mm Flab Kan 63 erfolgte mit Hilfe von Ausbildungsplakaten und Reglementen unter der Anleitung von Instruktoren und Milizunteroffizieren. Am Anfang stand das Erlernen aller für den Betrieb wesentlichen Bedienelementen und dafür notwendigen Handgriffe. Darauf folgte das drillmässige Erstellen der Betriebs- und Feuerbereitschaft unter Zeitdruck. Dasselbe galt für das Erstellen der Fahrbereitschaft. Sobald die Geschützgruppe ihr Handwerk beherrschte, erfolgte das gemeinsame Feuereinheitstraining mit der Mannschaft des Flt Gt. Hier ging es vor Allem darum, dass das Erstellen der Feuerbereitschaft der Feuereinheit in befohlener Zeit möglichst ohne Einrichtfehler erfolgte.

Mit der Kampfwertsteigerung von 35 mm Flab Kan 63 zu 35 mm Flab Kan 63/90 wurden erstmals Simulatoren für das Erlernen der Bedienungen und Zielbekämpfung eingeführt. Damit waren die K1 Kanoniere in der Lage, selbständig die wesentlichen Bedienelemente des Richtstandes, die Menueingaben für den Rechner und das Einrichten der Feuereinheit mit dem Flt Gt zu trainieren. Mit dem Schiesssimulator wurden die lokale Zielbekämpfung mit dem Visier «GunKing» gegen Boden- und Luftziele geübt.

Der taktische Einsatz der M Flab Feuereinheit wurde in der Regel während Felddienstübungen trainiert. Dabei kam auch die Zielflugstaffel der Luftwaffe zum Einsatz, welche gegnerische Ziele für die beübte Truppe simulierte. Der scharfe Schuss wurde während Schiess- und Richtkursen auf den Flabschiessplätzen trainiert. Dafür stand auch eine Schiessfehlervermessungsanlage SFV zur Verfügung.

Persönliche Eindrücke

Im Sommer 1998 rückte ich in die Flab RS 245 in Emmen (LU) als ausgehobener Flab Kanonier für die 35 mm Flab Kan 63/90 ein. Zwei Jahre davor begann ich im Flugzeugerkennungsdienst-Verein Dübendorf mit der vordienstlichen Ausbildung. Die Einteilung als Flab Kanonier entsprach daher meinem Wunsch. Trotzdem musste ich mich in diesem Sommer 1998 zu Beginn meiner RS etwas gedulden, bevor die Ausbildung am Geschütz erfolgte. Zuerst stand die militärische allgemeine Grundausbildung im Vordergrund. In der vierten RS-Woche war es endlich so weit, die Fachausbildung an der 35 mm Flab Kan 63/90 begann. Ich erinnere mich noch gut, wie beeindruckt ich war, als ich zum ersten Mal das Geschütz im elektrischen Betrieb, bedient durch unsere Unteroffiziere, sah. Ich hatte 1997 meine Berufslehre als Kaufm. Angestellter abgeschlossen und fragte mich damals, ob ich als Bürogummi überhaupt das Zeug dazu hätte, dieses mechanische und elektrische Wundergerät jemals zu beherrschen. Mein Geschützchef war ein strenger, aber guter Ausbilder. Seine Begeisterung sprang zu uns jungen Rekruten über. Wir freuten uns auf jede Ausbildungslektion am Geschütz und an den Simulatoren. Schritt für Schritt lernten wir das Geschütz besser kennen und zu bedienen. Bei Antritt der RS wog ich «schmächtige» 56 kg bei 179 cm Körpergrösse. Die Bedienung, insbesondere das Laden und Entladen, des Geschützes war für mich daher eine körperliche Herausforderung. Meine Lieblingstätigkeit war die Charge des Kanonier K1. Das systematische Arbeiten nach Checkliste lag mir, ebenso die autonome Zielbekämpfung, erst am Schiesssimulator und später im scharfen Schuss auf dem Flabschiessplatz Schanf. In der zweiten Hälfte meiner Rekrutenschule fand die Verlegung in die Ostschweiz an. Es begann die Felddienstperiode. Zuerst standen technische Stellungsbezüge der Feuereinheit an. Später folgten dann taktische Stellungsbezüge unter Zeitdruck. Abgeschlossen wurde diese Phase mit einer «Durchhaltewoche», wo wir während gut einer Woche mehrere Stellungsbezüge unter erschwerten Bedingungen durchführen mussten. Diese Phase war wohl die anstrengendste Zeit meiner Rekrutenschule. Sie war geprägt von einer hohen Intensität durch Stellungsbezüge, Wechselstellungsbezüge, hohe körperliche Belastung – vor allem bei der Verwendung der schweren hölzernen Prügelmatten –  und wenig Schlaf. Am Ende der Durchhaltewoche verlegten wir unseren Standort aus dem Raum Sarganserland auf den Flabschiessplatz Schanf im Engadin. Diese Verschiebung werde ich ebenfalls nie vergessen. Es war bereits Oktober und wir froren ziemlich während der Verschiebung über den Julierpass auf den langsamen 2DM-Lastwagen. Die Geschützmannschaft war damals zusammen mit dem ganzen Zubehörmaterial für die Geschütze auf der Ladebrücke der Lastwagen untergebracht. Mit dem Eintreffen auf dem Flabschiessplatz Schanf begann die letzte, aber wahrscheinlich für jeden Kanonier die interessanteste und schönste Phase der Rekrutenschule, nämlich die des Schiesskurses. Zweieinhalb Wochen lang verbrachten wir jeden Tag auf dem Schiessplatz. Es wurden autonome Kanonierschiessübungen auf von PC-9 geschleppten Säcken durchgeführt. Dabei musste der Kanonier den Schleppsack selbständig mit seinem Visier «GunKing» erfassen und verfolgen. Sobald die Verfolgung stabil aufgebaut war, konnte der Kanonier das Feuer auslösen. Dank der Schiessfehlervermessungsanlage erhielt der Geschützchef sofort das Resultat. Ebenso wurden Schiessübungen mit Steuerung Flt Gt durchgeführt. Bei diesen Übungen war der Kanonier mehr ein Passagier als Chauffeur. Auf ein Hupsignal hin, schaltete der Kanonier die Steuerung von Lokal auf Flt Gt um und die Kontrolle des Geschützes lag nun ganz in den Händen der Mannschaft des Flt Gt. Es gab dabei die Möglichkeit, dass der Feuerleitende im Flt Gt ein Ziel dem entsprechenden Kanonier K1 zur lokalen Bekämpfung übergab, dies insbesondere, wenn zwei Flugzeuge hintereinander angriffen. Ein besonderes Highlight für mich war die Auswahl als «sehr gut»-schiessender Kanonier für das Bodenzielschiessen. Dabei fuhren wir mit einem Geschütz und scharfer Kriegsmunition auf einen abgelegenen Aussenstandort am Albulapass. Dort schossen wir dann unter Einhaltung der strengen Sicherheitsregeln sowohl im elektrischen wir im mechanischen Notbetrieb kurze Salven von Minenbrandgranaten auf eine Felswand. Nach 15 Wochen endete meine Rekrutenschule im November 1998.

Zukunft

Die M Flab ist nach wie vor Bestandteil der BODLUV der Schweizer Armee. Seit kurzem gilt auch für die M Flab wieder das Erbringen von Gefechtsleistungen im Einsatzspektrum «Verteidigung». Davor standen Einsatz zur Wahrung der Lufthoheit im Vordergrund. Dies hauptsächlich im Rahmen des Sensorverbundes BODLUV. Mehrere Male in der Vergangenheit wurde über die Ausserdienststellung der M Flab diskutiert. Aber bis heute konnte sich die M Flab und somit die 35 mm Flab Kan 63/12 bewähren. Ein wesentlicher Faktor dabei ist die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit dieses Waffensystems. Obwohl die aktuell von der Schweizer Armee verwendete Variante des Zwillingsgeschützes GDF005 nicht mehr duellfähig gegen die heute relevante Bedrohung aus der Luft wie Kleindrohnen und Präzisionsmunition ist, muss sie mindestens bis 2032 durchhalten. Ob sie dann durch eine weitere Kampfwertsteigerung modernisiert oder durch ein neues BODLUV System kürzerer Reichweite ersetzt wird, ist heute noch nicht klar.

Die heutige Herstellerfirma Rheinmetall Air Defence AG hat mittlerweile mit dem Zwillingsgeschütz GDF009 eine aktuelle Version im Portfolio. Es beruht auf der konsequenten Weiterentwicklung, welcher der heutigen Bedrohungslage und netzwerksfähige Einsatzleitung gerecht werden. Dank der 35 mm Ahead Munitionstechnologie ist das Zwillingsgeschütz GDF009 in der Lage, auch kleine und schnelle Ziele erfolgreich zu bekämpfen. Bei der Ahead Munition handelt es sich im Wesentlichen um ein zeitprogrammiertes Geschoss, welches im richtigen Augenblick vor dem anfliegenden Ziel eine Wolke von kleinen drall-stabilisierten Schwermettallzylindern ausstösst. Dabei wird die Trefferwahrscheinlichkeit im Vergleich zu den herkömmlichen Minenbrandgranaten erheblich erhöht. Die netzwerkfähige Variante GDF009TREO kann unbemannt eingesetzt werden. Das Geschütz ist mit einer eigenen radarisierten Feuerleitanlage ausgerüstet und ist somit in der Lage, selbständig nach Zielübernahme eines Suchradars ein Ziel zu bekämpfen.

Oerlikon GDF009TREO – netzwerksfähiges autonomes Zwillingsgeschütz

Nach wie vor sind hunderte Oerlikon 35 mm Zwillingskanonen in verschiedensten Versionen weltweit im Einsatz. Das bewährte Waffensystem wird voraussichtlich noch eine beträchtliche Zeit lang im Einsatz bleiben, ohne dass ein endgültiges Ende in naher Zukunft absehbar ist.

Text: Beat Benz

Quellen:

https://www.vtg.admin.ch/de/einsatzmittel/boden-luft/35mm-flab-kan-63-90-flt-gt-75-951.html

Rheinmetall Air Defence AG


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