– 01.06.2022 –

„Gügeli“ der Retter am Südufer

Im September 1991 wurde ich mit meiner 17-köpfigen Crew, infolge einer Meuterei der Armee und eines Volksaufstands, für vier Tage in Kinshasa festgehalten. Unsere fast fabrikneue MD-11 parkierten wir am Vorabend gottlob in Brazzaville.

Geschosseinschläge, auch grösseren Kalibers, Überfälle und Plünderungen waren Tag und Nacht zu hören und zu beobachten. Unsere Besatzung blieb stets zusammen und versuchte, sich gegenseitig aufzumuntern, um ja nie Panik aufkommen zu lassen. Nahrung und Wasser zu beschaffen wurde zusehends schwieriger. Hunderte von Europäern versuchten, unser Hotel als Zufluchtsort zu erreichen. Sie trafen ohne Hab und Gut, meistens noch unter Schock, dort ein.

Nach vier Tagen konnten wir endlich, zusammen mit Schweden und Österreichern, in einem Konvoi, eskortiert durch französische Fremdenlegionäre, nach einer aufregenden Fahrt zum Fährhafen gelangen. Dankbar, dort heil angekommen zu sein, empfanden wir die 5-stündige Wartezeit unter der afrikanischen Mittagssonne eher als kleines Übel. Die wartende Menschenmenge wurde durch die Fremdenlegionäre beschützt. Ein recht stattlicher, durchtrainierter Legionär unterhielt sich mit unseren Hostessen in einwandfreiem Schweizerdeutsch. Als Chef der Crew stellte ich mich ihm vor. Er erwiderte: “Geiger ist mein Name“.  Meine verdutzte Frage, ob er wirklich der “Gügeli“ aus dem UeG (Überwachungsgeschwader) sei, bejahte er mit einem Lachen. In der Folge verging die restliche Wartezeit wie im Fluge. Unsere ganze Crew wähnte sich unter dem persönlichen Schutz von “Gügeli“ in fast totaler Sicherheit.

Schlussendlich half er uns noch, auf der ca. dreifach überladenen Fähre nach Brazzaville, irgendwo etwas Platz zu finden. Wir waren wohl die einzigen Fahrgäste, die einen noch lange winkenden Fremdenlegionär am Ufer des Kongo-River zurückliessen.

Etwa drei Monate später fuhr ich zum UeG – Jubiläum nach Dübendorf. Neben mir parkierte gleichzeitig, welch ein Zufall, “Gügeli“ und gleich daneben Oberst Hans Heinrich Bachmann – Kommandant des Ueberwachungsgeschwaders. “Ja, das ist ja der Geiger “, rief Jagdflieger Bachmann freudestrahlend. Mich erkannte er nicht mehr. Dies entlockte mir die Bemerkung, dass ich ihm als Kdt UeG offenbar zu wenig Sorgen bereitet habe. Am Abendanlass in Spreitenbach, zu später Stunde, liessen “Gügeli“ und ich die gemeinsame Zeit am Kongo-River noch einmal aufleben.

Text: Hansruedi Schiesser v/o Zapfe, MD-11 Captain aD SWISSAIR

Flugkapitän aD Hansruedi Schiesser sitzt im Cockpit ( im DC-9)

  

Zusatzinfo für nicht UeG-Angehörige

Leutnant Hans Geiger war als Hunterpilot in der Fliegerstaffel 1 eingeteilt und musste den Leutnantsgrad im Mirage-Umschulungskurs 1973 abverdienen. Im grossen Osterurlaub fuhr er nach Genf und meldete sich in Frankreich zur Fremdenlegion. Ab diesem Zeitpunkt nannte er sich Helmut Gilles. Das wurde bei der Schweizer Militärjustiz als Desertation eingestuft und es wurde eine entsprechende Untersuchung eingeleitet. Das zuständige Divisionsgericht sprach ihn „schuldig“ und als Strafe drohte ein längerer „Aufenthalt“ in der militärischen Strafanstalt Früebüel auf dem Zugerberg.

Ein Rottenkamerad aus der Staffel hatte unregelmässig Kontakt mit ihm, und deshalb wussten wir, dass Hans Geiger gelegentlich (unerkannt) in die Schweiz kam. Er war in Frankreich zum Fallschirm-Grenadier ausgebildet und bis zum höchsten Unteroffiziersgrad „Adjutant-Chef“ befördert worden.

Ein unbekannter „Wohltäter“ bewirkte dann bei der CH-Militärjustiz die Aufhebung der hängigen Strafe, und in der Folge besuchte Hans Geiger regelmässig seine alten Kameraden in der Schweiz. Er ist leider vor ein paar Jahren verstorben.

Hans Geiger zivil und in der Legion

Text: Hansruedi Schiesser und Rudolf Wicki  Titelfoto: Stiftung MHMLW-Bilderarchiv – MD-11 vor heimischer Kulisse