Aktuelle Ansicht des Motors in unserer Motorenausstellung Halle 8 

– 22.03.2021 –

Unser Motoren-Spezialist H.J. Kuhn interviewt den Motor Saurer FLB 1000 “Kraftprotz”

H.J. Kuhn: Wie kamst du zu diesem „Uebernamen“?     

Kraftprotz: Von wem und wann dieser zuerst verwendet wurde, ist mir nicht bekannt. Vermutlich hat während meiner Entwicklung die euphorische Vision einer beinahe unbegrenzten Leistungssteigerung durch mehrere aneinandergebaute Elemente  – und sogar mit zwei zusammengebauten Motoren – dazu beigetragen. Die gedrungene Bauform, das kleine Leistungsgewicht, die grosse Leistungsausbeute, sowie die einfache Konstruktion mögen auch zu dieser Bezeichnung geführt haben. Aber beginnen wir bei der ursprünglichen Idee.

Um das Jahr 1930 machten sich in Europa und den USA verschiedene Firmen Ueberlegungen zu Diesel-Flug-Motoren. Für Saurer existiert dazu ein Dokument über Versuche vom 25.7.1931. Richtig angeregt wurde die Firma Saurer im Herbst 1935 durch ein Preisausschreiben des Französischen Luftfahrtministeriums: „Entwicklung eines Flugmotors für Dieseltreibstoff“

Weshalb Diesel?

Vermutlich wegen der grösseren Energiedichte, der kleineren Brandgefahr, weniger Fehlzündungen, besserem Höhenverhalten, besserer Klopffestigkeit, usw.


1933 bereits in Serieproduktion:

Junkers JUMO 205, 2-Takt-Diesel-, 6-Zyl.-Gegenkolbenmotor der Familie 204-207 550PS; 32 PS/l; 0,96 kg/PS; 160 g/PS/h

Als zuverlässiger Motor bezeichnet, Transatlantikflug England-Brasilien in 43 Std.

Bereits 1892 Gegenkolben-Zweitakt-Gasmotor von Junkers und Oechselhäuser .

(Gegenkolbenmotor: im selben Brennraum arbeiten 2 Kolben gleichzeitig gegeneinander)


Auch in der Schweiz setzte die Kriegstechnische Abteilung (KTA) verschiedene Ziel-Anforderungen, zT noch bis 1944: 2-Takt- Motor mit mehr als 2000 PS bis 6000 m/M Volldruckhöhe, bei maximal 0,4 kg/PS und maximaler Breite von 880 mm, ohne Waffeneinbau, keine gegenläufigen Propeller, Rückstossdüsen erlaubt, jedoch keine Abgasturbine (das war ein Handicap).

Hippolyt Saurer (1878-1936) nahm die Herausforderung an und formulierte Idee und Ziel: Einen Hochleistungs-Flugzeug-Diesel-Motor mit mehr als 1472 kW / 2000 PS zu bauen. (nach Ober-Ingenieur Hermann Wild, Ing. Karl Schneider)

Ein sehr ehrgeiziges Ziel, nicht wahr !?!

Eindeutig! Die grosse Erfahrung der Saurer-Ingenieure mit Fahrzeug-Dieselmotoren und ihrem Flugmotorenbau seit 1917 führte dann auch zur Erkenntnis, dass für enorm starke Flugmotoren ganz neue, einfache, leichte Konstruktionen gesucht werden mussten.

Heisst das weg von  V- und 1-fach-Stern- hin zu Doppel-Stern-, H- oder X-Motor ?

Indirekt, ja! Aber mit einer ganz neuen Erscheinung. Es wies den Weg zum 2-Takter mit Doppelkolben. Um meine gedrungene Form zu erreichen, wählten sie einen spitzen Winkel für die Laufachsen der beiden Kolben. Damit war meine spezielle, rhombische Form gegeben. (bei Junkers bewegen sich die Kolben in der gleichen Laufachse gegeneinander) Spiegelgleich wirkten je  zwei Kolben auf einen Verbrennungsraum und je eine Kurbelwelle.

Durch Weglassen von Schiebern oder Ventilen und deren Antriebe konnten sie mein Gewicht tief halten. Ausgedehnte Versuche zur Spülung (Verbrennungsgase durch Frischluft ersetzen) zeigten, dass Quer- und Umkehrspülung nur bescheidene mittlere Drucke zuliessen. Eine Längsspülung auch bei höheren Druckwerten jedoch aussichtsreicher war. Der obere Kolben gab die Einlassschlitze in der Zylinderwand für die vorverdichtete Frischluft frei, und der untere liess fast gleichzeitig die Abgase ausströmen. Die untere Kurbelwelle (Auspuff) war effektive 13° voreilend.


Das eingangs erwähnte Versuchsprotokoll von 1931 stammt aus den Versuchen zum Studium von künstlicher Verwirbelung mit Gasöl (j=0,875) und der Wirkung des englischen fuel accelerators (5%). [1-Zyl.-Diesel-Flugmotor, D=135, H=150mm, V=2,142 l, p=13,35, Einspritzdruck 200 at]


Durch die spezielle Motorenform und die drei Elemente waren die freien Massenkräfte gut ausgeglichen, was mich als Flugmotor prädestinierte. Die Kurbelwellen und die Lager konnten dadurch kleiner dimensioniert werden, was sich wiederum günstig auf mein Gewicht auswirkte.

Eine homogene Gemischbildung wurde durch rotierende Luftbewegung erreicht. Bei Jumo durch schiefe Einlassschlitze und zusätzlich bei Saurer durch die Form des Kolbenbodens. Im oberen Totpunkt wurde die Luft im gemeinsamen Verbrennungsraum gut durchwirbelt. Jumo brauchte mehrere spezielle Einspritzdüsen, mir jedoch genügte eine pro Brennraum. Die Einspritzpumpe und die Düsen (von Bosch und Saurer entwickelt) versorgten mich rechtzeitig und dosiert, unter entsprechendem Druck, mit Treibstoff. Mittels Fremdzündung wurde das Gemisch zur Explosion gebracht. Die Patentschrift war bewusst nur allgemein als «Einspritzmotor» gehalten.

Die Vorversuche dauerten von 1935-1940. Weil Saurer sämtliche Entwicklungskosten ohne jegliche staatliche Hilfe allein trug, wurde aus wirtschaftlichen Gründen zuerst mit je einem halben Bauelement (Diesel / Benzin) gearbeitet.

FLB-Motor [2 Kolben unter 45°] in etwas kleinerer Dimension.  (Werte für Diesel / Benzin) D=80mm, H=2x130mm, Hubraum 1,31 l; 3200 U/min; 55 / 97 PS , 42 / 74 PS/l, G=115 kg; ca 2,1 / 1,2 kg/PS, Verbrauch 190 / 225 g/PS/h, mittlere Drucke 5,9 / 10,4 kg/cm2 Mechanischer Wirkungsgrad 70%. Gaswechsel und Verbrennung waren beide gleichermassen effizient. Mit dieser Versuchseinrichtung wurden je 300 Stunden im Dieselbetrieb und Benzineinspritzung ohne Störung gefahren. (Vorschlag 2-Takt-Motor 1939 und H.Wild 1975)

Die Forderung der damaligen KTA, für einen Spezialzweck, nach einem kleinen Motor mit maximalem Durchmesser von 45 cm, führte zum Versuchsmotor „T-Motor“ mit nur einem ganzen Bauelement. Ob dieser Spezialzweck in Wirklichkeit der N-20 war, kann wegen dem Mass nur vermutet werden.

T-Motor [2×2 Kolben unter 72°] D=70mm, H=2x70mm, Hubraum 1,08 l, 3700 U/min, 62 kW / 84 PS, 57 kW/l / 78 PS/l, G=80 kg, 1,4 kg/kW / 0,95 kg/PS, 235 g/PS/h, mechanischer Wirkungsgrad 70%. Dieses Element lief ca 80 Stunden, die Versuchsresultate waren durchaus vergleichbar mit jenen des FLB-Motors . (Vorschlag 2-Takt-Motor 1939) Dieser lief 400 Stunden störungsfrei mit Benzin-Einspritzung-Fremdzündung (H.Wild 1975) Mit dieser Versuchseinrichtung wurden je 300 Stunden im Dieselbetrieb und Benzineinspritzung ohne Störung gefahren. (W.Knecht 1993)

Die Auswertung der gewonnen Versuchsdaten führte ca 1941 zum Bau meiner Wenigkeit, jedoch wiederum aus Kostengründen beschränkt auf 1000 PS (3 Elemente) anstelle der immer noch vorgesehenen mehr als 2000 PS (6-8 Elemente).

FLB 1000-Motor [3 Elemente à 2×2 Kolben unter 60°] D=110mm, H=2x170mm,  Hubraum 19,4 l, 2400 U/min, 736 kW / 1000 PS, 38 kW/l / 51 PS/l , G=ca 550 kg, ca 0,75 kg/kW / ca 0,55 kg/PS, p=9,7, mit Radialgebläse und Benzineinspritzung. Die beiden Kurbelwellen wirkten über ein Getriebe auf die Propellerwelle. Obwohl ich mich als Prototyp für einen geplanten „Schnellläufer“ auf dem Prüfstand befand konnten meine Vorteile nur noch während wenigen Stunden mit Benzin-Einspritzung erprobt werden, das heisst ich wurde nur noch eingefahren. Zusammen mit BBC (Baden) wurde auch das Höhenverhalten theoretisch untersucht und es war vorgesehen, auf einem Höhenprüfstand mit dem einstufigen Radialgebläse weiterzufahren.

Das Schicksalsjahr 1942 beendete aber meine Karriere abrupt.

Was war der Grund für den Abbruch?

Die neue, ultimative Forderung der KTA lautete:

Die Leistung des in Lizenz gebauten Hispano-Suiza HS77 12Y51 (oft als HS51-12Y bezeichnet) durch Benzineinspritzung von 1000 PS auf 1250-1500 PS zu steigern.


Der Lizenzbau dieser Vergasermotoren mit Gebläse war bei der Arbeitsgemeinschaft (AG) von SLM und Saurer in vollem Gange. (von 1941-45 ca 440 Stück gebaut)


Diese Leistungssteigerung gelang dann der Abteilung Flugmotoren bei Saurer auch recht gut mit dem YS2 (920 kW / 1250 PS). Von diesen Einspritzern mit Aufladung wurden 48 Stück gebaut für C-3604 und D-3802. Ausserdem je ein Prototyp von Saurer YS3 (1104 kW/1500 PS) und von Flugzeug Dornier D-3803. Dann schrieb man bald das Jahr 1946, der Krieg war vorbei und das Jet-Zeitalter eingeläutet. Die frühere Empfehlung der Eidg. Industriekommission zur Weiterverfolgung des Projektes fand leider kein Gehör mehr.

Allein die Vision hatte weiterhin Bestand. Mehrere solcher Rhomboid-Elemente sollten aneinander gebaut werden. Mit 8 Elementen zu 4 Kolben hintereinander sollte eine Leistung von über 2000 PS erreicht werden können (FLB 2000). Durch zwei zusammengebaute Motoren (ähnlich wie bei Napier mit dem H-Motor (Sabre V), oder bei DB, HS, RR, P+W) war eine weitere Leistungssteigerung auf mehr als 4000 PS vorgesehen (FLB 4000).

Ist dies nicht ein eindrückliches Beispiel, dass für erfolgreiche INNOVATION die Idee allein nicht genügt, gefragt ist auch Durchhaltewillen und Ueberzeugung. Um Investoren gewinnen zu können, muss für das Produkt zur richtigen Zeit am richtigen Ort ein Markt bestehen.

Aus meiner eigenen Erfahrung und sehr kurzem Wirken, leider eindeutig JA!

Quellen:

Vorschlag zur Entwicklung eines 2-Takt-Flugmotors mit Einspritzung & Fremdzündung, 1.5.1939; 2-Takt-Flugmotor FLB, Nov.1975, Ing. H.Wild; Patentschrift 715 917; alte Saurer Prospekte; Motoren von Saurer, Hans Hopf, 2017; Tilgenkamp III, 1943, S.327-332; Urech, 1974; FFM; HGi2, 1986; HGi 3, 2012; Geschichte der Verbrennungsmotoren-Entwicklung in CH, W.Knecht 1993, S.216-227; secretprojects.co.uk; saurerclubromandie.ch;

Anmerkungen:

Neben einigen Anderen arbeiteten zeitgleich an der ETH die beiden Ingenieure Dütschler und Howald unter Prof. Eichelberger an einem 2-Takt-Diesel-Flugmotor mit ca 3000 PS (Tilgenkamp).

Saurer hatte schon einige Erfahrung mit Flugmotoren:

1917 mit Kopie und 1924 mit Lizenzbau Hispano-Suiza Typ 41 8Aa, V8 (90°), mit 110kW / 150PS für DH3 KTA beauftragte SLM und Saurer einen Flugmotor mit 147kW / 200PS zu konstruieren.

1918 Eigenkonstruktion AF, V12 (60°) mit 151 kW / 205 PS, 1500 U/min ( 2 Prototypen) Rechte Zylinder-Reihe 30mm höher um besseren Winkel bei Haupt- und Nebenpleuel zu erreichen. Frischluft (vorgewärmt) aus Kurbelgehäuse (Kühlung), Ventile mit Biegefedern. Nach Krieg kein Geld mehr! Lizenzbau Cosmos-Bristol Jupiter 9 Abx Serie VI, 310kW / 420 PS, für Potez L-25

1928 Lizenzbau Bristol (Gnôme+Rhône) Jupiter VI, 9-Stern mit 338kW / 460 PS, für Fokker C.V-D, Potez 25.28A2, Devoitine D9 und für AC1 geplant, Streitfragen waren: luft- oder wasser-gekühlt?  Comte AC1 oder Bristol Bulldog? Nur 10 (20?) Stück produziert: später 3 für Balair, 2 für  Direktion der Militärflugplätze, Rest verschrottet? Die DO-X war ursprünglich mit 12 Siemens-Jupiter-Motoren ausgerüstet (460 PS).

Bei Erfolg lag ein Geschäft in der Luft. Wegen zu kleiner Leistung wurden sie aber bald ersetzt durch Curtis Conquerors V-1550 (V12, 600PS). Leider wurden nur 3 Flugzeuge gebaut, zwei davon für Italien mit Fiat Motoren (A22R, 550 PS).  

1928/9 erster Diesel-Flugmotor von Packard Car Co. 9-Zyl.Stern, 165kW / 225 PS, 230kg, Erstflug September 1928, später Langstreckenweltrekord

1932 bis1940 HS57-12Mb, V12 (60°) mit 368kW / 500 PS für C.V-E Tr, D27, P2-03 und P2-04 (Prototypen) HS61-12Nb, V12 (60°) mit 478kW / 650 PS für C.V-E Oben liegende Nockenwelle, 6 Vergaser

1934/7 HS77 12Ycrs, V12 (60°) mit 570kW / 775 PS, Radialgebläse für C35, D3800, (AG)

1939 HS77 12Y-51, V12 (60°) mit 736kW / 1000 PS, Radialgebläse für C3602,C3603, D3801,(AG)

1942    Forderung KTA: weiterentwickeln!

1942    Saurer YS 2, V12 (60°) mit 920kW / 1250 PS, Radialgebläse und Einspritzung, 4 Ventile für C3604, D3802 A, (AG)

Allgemeiner Entwicklungsstand JUMO 205,6-Zyl. 2-Takt, Diesel      

1914: bis  400 PS; 13 PS/l; 1,6  kg/PS;  230 g/PS/h

1933         550 PS; 32 PS/l; 0,96 kg/PS; 160 g/PS/h (GgK)

1935: ca 1000 PS; 30 PS/l; 0,64 kg/PS; 210 g/PS/h

1939: ca 1500 PS; 37 PS/l; 0,60 kg/PS; 205 g/PS/h

1945: ca 2000 PS; 45 PS/l; 0,55 kg/PS; 200 g/PS/h

1937 begannen die Forschungen am Strahlantrieb in D (P. Ohain) und in GB (F. Whittle)

1944 Turbostrahltriebwerk Jumo 004 in Serie gebaut, Raketentriebwerke schon früher!

Entwicklung:

Vergaser > Aufladung  Aufladung > Einspritzung  4-Takt > 2-Takt  Benzin > Diesel

Text: Hans-Jörg Kuhn, Fotos: Archiv MHMLW

red.th