Hunterstart in Münsingen vor dem Gspaltenhorn und der Blüemlisalp-Gruppe

– 04.08.2020 –

Flugplätze sind sehr verletzlich gegen Angriffe aus der Luft. Aus diesem Grunde wurden in der Schweiz schon sehr früh im Kalten Krieg Flugzeugkavernen erstellt. 1949 wurde in Ambri mit dem Bau der ersten Felskaverne begonnen und diese anschiessend mit umfangreicher Infrastruktur versehen. Neben dem passiven Schutz gegen Angriffe aus der Luft, waren die Kavernen so ausgerüstet, dass sie über längere Zeit autonom operieren konnten. Selbstverständlich waren sie in die Kommando- und Einsatzorganisation eingebunden und wurden auch von dort geführt. In den Folgejahren baute die Flugwaffe fünf weitere Kriegsflugplätze mit Kavernen aus.

Tigerstart in Münsingen 

Während des Kalten Krieges betrieb die Flugwaffe 12 Kriegsflugplätze mit bis gegen 400 Kampfflugzeugen, die gegen feindliche Angriffe zwar von der Fliegerabwehr geschützt wurden, aber sich sonst ungeschützt im offenen Gelände befanden. Nach einem Angriff mit Abstandswaffen musste mit grösseren Zerstörungen an den Pisten gerechnet werden. Deshalb suchte man nach Ausweichmöglichkeiten auf Autobahnteilstücken. Schon bei der Planung in den 60er Jahren wurden sechs Teilstücke als mögliche Stützpunkte bezeichnet und entsprechend vorbereitet. Der Mittelstreifen wurde durchgehend mit Hartbelag versehen und Stromanschlüsse wurden vorverlegt. Auf den Flugplätzen Payerne und Meiringen wurden in den 90er Jahren die parallelen Rollwege zu Notpisten erweitert (23 Meter breit). Die „Umleitung“ der fliegenden Verbände auf eine sichere Betonpiste musste im Kriegsfall situativ spontan und sofort möglich sein. In Alpnach und Sion wurden nur „Notstarts“ erprobt.

Die Idee, Autobahnen als Flugplätze zu verwenden, hatten diverse Staaten bereits in der Praxis erprobt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die deutsche Luftwaffe Schnellstras­sen für die möglichst optimale Verteilung der fliegenden Verbände. Auch Teile der russischen Luftarmeen benutzten beim Vormarsch auf Berlin Deutschlands grosszügige Strassenbauten. In Schweden ist es bis heute möglich, die gesamte Luftwaffe auf einer grossen Anzahl von vorbereiteten Strassen-Abschnitten einzusetzen.

Bei der Planung des Nationalstrassen/Autobahnnetzes wurde die Forderung der Fliegertruppe nach Ausweichlandepisten berücksichtigt. Auf verschiedenen Autobahnabschnitten wurde eine gerade Linienführung von etwa zwei km gewählt. Die Leitplanken wurden durch verankerte Stahlseile ersetzt. Sie konnten bei Bedarf innert weniger Stunden von der Truppe entfernt werden. Nach einer Reinigung der Fahrbahnen, dem Aufmalen der Landezeichen und dem Einrichten der Funkverbindungen konnte ein Autobahnteilstück von Flugzeugen benützt werden.

Für die Planung und Durchführung einer „Autobahn-Übung“ war immer die entsprechende Flugplatzabteilung (Flpl Abt) verantwortlich. Auf einem Standard-Kriegsstützpunkt waren folgende Einheiten vorhanden:

1 Stabskompanie

2 Fliegerkompanien

1 Flugzeug Reparatur Kompanie

1 Flieger Genie Kompanie

1 Flugplatz Flab Batterie

2 Landsturm Bewachungs Kompanien

Für eine Übung brauchte es „nur“ etwa zwei Drittel dieser Fachleute, also ca. 600 Mann. Diese dislozierten mit ungefähr 140 Fahrzeugen von der „home base“ zum provisorischen Stützpunkt. Die Truppe wurde von Spezialisten des Bundesamtes für Militärflugplätze (BAMF) tatkräftig unterstützt. Mit den zuständigen Polizeikorps wurden schon lange im Voraus die notwendigen Absprachen getroffen. Für die Zuführung der enormen Mengen (ca. 25 Tonnen) an Treibstoff und Munition mussten ausreichende Zu- und Wegfahrten bestehen, und es war selbstverständlich erforderlich, dass der nor­male Fahrzeugverkehr vernünftig umgeleitet werden konnte. Die Erfahrungen aus vergangenen Übungen wurden jeweils analysiert, die entsprechenden Lehren gezogen und in eine Art „Drehbücher“ eingebracht. Die verschiedenen Stützpunkte wiesen ihre Eigenheiten und Probleme auf (Brücken, Stromleitungen, Hindernisse). In gewissen Bereichen der Notpiste konnten Brücken toleriert werden, sofern die für die Flugzeuge erforderliche Höhe von rund sechs Metern nicht unterschritten wurde. Man ging davon aus, dass im Kriegsfall der Flugbetrieb genügend Priorität gehabt hätte, um störende Bäume zu fällen und Hochspannungsleitungen „abhängen“ zu können.

Die erste „Flugpiste“ wurde auf der N1 (heute A1) zwi­schen Egerkingen und Oensingen benutzt. Unter dem Decknamen „Strada“ bewerkstelligte am 16. September 1970 erstmals eine Venom-Staffel in Zusammenarbeit mit den Bodentrup­pen der Flpl Abt 9 den Flugbetrieb ab einer Schweizer Autobahn. Da die zwölf Maschinen zu Waffeneinsät­zen starteten, mussten sie auch auf der Stras­se aufmunitioniert werden. Die Übung wurde als ausgesprochen erfolgreich bewertet. Das bedeutete, dass auch die folgenden Autobahn­landungen mehr oder weniger nach demsel­ben Muster abliefen. Eine solche militärische Übung war charakteristisch für den Kalten Krieg. Die Geheimhaltung im Vorfeld war (damals) dementsprechend gross. Alle unnötigen Bekanntmachungen waren zu vermeiden – selbst das Datum sollte möglichst geheim gehalten werden. Doch ein Anlass von solchem Ausmass liess sich schon damals nicht verheimlichen. Viele Zuschauer/innen wohnten dem faszinierenden Spektakel bei und die Medien berichteten darüber. Die Strecke bei Oensin­gen jedoch sollte nie wieder benutzt werden, denn schon bald hatte sich die N1 zu einer der meistbefahrenen Strassen der Schweiz entwickelt. Die Solothurner Verkehrspolizei zitterte bei der Vorstellung, diese Blechlawine tagelang auf das Hauptstrassennetz umleiten zu müssen.

Retablieren der Flugzeuge in Oensingen

Die Premiere mit dem Flugzeug Hunter erfolgte in Münsingen bei Bern auf der N6 am 26. September 1974. Der Kommandant der Fliegerstaffel 11 (Tigers), Sepp Peyer, durfte an seinem Geburtstag(!) als Erster dort landen. Landungen und Starts waren durch die Brücke in der Mitte des „Flugplatzes“ erschwert. Im Anflug gab es einen „Point of no return“, das heisst, der Pilot musste sich frühzeitg definitiv zur Landung entschliessen oder einen Durchstart einleiten. Zur besseren Erkennung wur­de das Brückengeländer mit farbigen Tüchern markiert. Nach dieser ersten Landung wurde das Flugzeug – ohne Triebwerk abzustellen – mit einem neuen Bremsschirm versehen und Hauptmann Peyer startete unverzüglich wieder, um die Machbarkeit zu beweisen. Das Flugzeug war (ohne Auftanken) sehr leicht, beschleunigte rascher als sonst, und der Pilot musste das Flugzeug zum „Unterqueren“ der Brücke kontrolliert „am Boden behalten“. Die 1971 eröffnete Raststätte „Windrose“ diente als Retablierplatz für die Flugzeuge sowie als Deponie für Material und Fahrzeuge.

Eine weitere Verlegung von Hunter auf eine Notlandepiste erfolgte am 28. September 1977. Der Ort des Geschehens war diesmal die N3 zwischen Walenstadt und Flums. Dieser Strassenabschnitt wird von zwei Brücken überquert. Die spezielle Starttechnik bestand darin, eine der Brücken mit ungefähr 250 km/h zu passieren (noch am Boden) und unmittelbar danach den Abhebevorgang einzuleiten. Ein zu spätes Hochziehen der Maschine hätte eine Kollision mit der nächsten Brücke zur Folge haben können. Die Autobahn wies in diesem Bereich noch eine kleine Besonderheit auf. Auf einer Länge von 60 Metern hatte sich die Fahrbahn wenig, aber mit dem Auto spürbar, etwas abgesenkt. Wir machten (mit Beteiligung und Absperrung durch die Kantonspolizei SG) einen Geschwindigkeitsversuch mit einem Porsche. Auch mit 250 km/h war das „Berollen“ dieser Zone kein Problem.

Am 01. Juni 1978 starteten ab der Autostrasse N8 bei Alpnach sechs Hunter. In Alpnach konnte aufgrund der geringen Breite der Autostrasse N8 nur gestartet werden. Für Landungen war dieser Nationalstrassenabschnitt zu eng und zu schmal. Es wurden zwar Anflüge bis in den Endanflug durchgeführt, aber vorzeitig wieder durchgestartet.

Die Übung „Abex“ auf dem Abschnitt Bex-Aigle im Waadtland fand am 6. Mai 1980 statt. Auch dieser Flugplatz wies eine Hochspannungsleitung als Hindernis auf. Die einzelnen Leitungen wurden mit orangen Kugeln gekennzeichnet und neben der Piste waren Markierungstafeln mit Distanzangaben zu den tückischen Kabeln aufgestellt. Unmittelbar neben der Autobahn fliesst auf der westlichen Seite der „Grand Canal“. Höchste Konzentration bei den Piloten war also gefragt. Auf einer provisorischen Plattform in einem dieser Masten wurde ein „Kontrollturm“ eingerichtet. Der Kommandant der Fl St 1 (Hunter/RAR), Hauptmann Bruno „Säm“ Morgenthaler, überwachte den Flugbetrieb von diesem exponierten Standort aus.

Eine Schweizer Premiere: Bei der Autobahnlandung vom 24. März 1982 bei Münsingen war Major Rudolf Wicki als Geschwaderführer des Flieger Geschwaders 13 in Meiringen „fliegerischer“ Übungsleiter und landete deshalb als erster Pilot der Luftwaffe mit dem Doppelsitzer F-5F Tiger II auf diesem Autobahnteilstück. Die Parkplätze der Au­tobahnraststätte „Windrose“ am nördlichen Ende dienten abermals als „open air hangar“ und Materialdepot. Zudem konnten die Flugzeuge und Gerätschaften wirkungsvoller (übungshalber) gegen Fliegersicht getarnt werden. Neben den Tiger und Hunter kamen auch Pilatus P-3, PC-7 und Alouette III für den Transport der Austauschpiloten zum Einsatz.


Kommentar des Übungsleiters (Autor):

Bis in den Endanflug war die ganze Sache (noch) unspektakulär. Der Final war etwa zwei km lang und die Piste erschien zu Beginn so schmal wie ein Trottoir (24 Meter). Der Puls erhöhte sich schon ein wenig. Die Brücke über der Mitte der Landezone zwang mich zum frühzeitigen und definiten Entschluss, den Anflug fortzusetzen und zu landen – oder durchzustarten. Der Puls blieb bis zur Landung und dem sicheren „Unterrollen“ der Brücke auf einer Sportlerfrequenz.

Der Übungsleiter Major Rudolf Wicki im Gespräch mit dem damaligen Chef Führung und Einsatz, Divisionär Ernst Wyler


Am 15. Oktober 1985 wurde die damals noch als N3 bezeichne­te Autobahn bei Flums nochmals gesperrt. Die Flieger-und Fliegerbodentruppen sowie die Kantonspolizei SG ver­wandelten den geraden Autobahnabschnitt zwischen Walenstadt und Sargans abermals in einen behelfsmässigen Militärflugplatz. Im Rahmen der Übung „Tauto“ landeten zwei Dutzend F-5 Tiger II und Hunter. Einge Pilatus P-3, PC-7, Alouette II und III brachten Austauschpiloten nach Flums. Der damaligen EMD-Chef, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz „inspizierte“ die ganze Übung mit einer Beech Twin Bonanza der Flugwaffe.

Im Jahre 1988 wurde auf zwei Autobahnteilstücken mit Tiger gestartet. Am 29. September 1988 starteten 12 Tiger auf dem schon mit Hunter erprobten Autostrassenteil bei Alpnach und am 16. November 1988 unmittelbar neben den Flugplatz Sion 8 Flugzeuge.

Die letzte Autobahn-Übung fand am 14. November 1991 als Übung „Strada“ in Cresciano beim Flugplatz Lodrino (TI) statt. Das Wetter war nur mittelprächtig und der Wolken-Plafond hob sich erst im letzten Moment auf eine Höhe, die einen sicheren Anflug ermöglichte. Der Geschwaderführer Major Hansruedi Beck hob in seinem Pilotenbriefing die schwierigsten Punkte hervor:

– Pistenbreite nur 24 Meter anstelle 40 Meter

– links und rechts der Landezone hat es hohe Bewaldung

– bei der Landung talabwärts hat es einen hohen Erddamm

– im Anflug talaufwärts muss eine Hochspannungsleitung umflogen(!) werden
der Geradeanflug beträgt nur etwa 800 Meter

Der Flugzeugabstellplatz wurde auf den Parkplätzen Moleno Nord und Süd eingerichtet. Mit dem Hunter J-4044, der über eine eingebaute Heckkamera verfügte, wurde die erste Landung in Lodrino gefilmt. Der Tessiner Pilot Hauptmann Beat am Rhyn liess es sich nicht nehmen, als Erster den Heimatboden mit dem Fahrwerk zu berühren.

Die Autobahn-Übungen im Überblick:

16.09.1970 Oensingen N1 Flpl Abt 9    (ALP)12 Venom)
26.09.1974 Münsingen N6 Flpl Abt 12 (INT-Venom), Flpl Abt 13 (MEI-Hunter)
28.09.1977 Flums N13 Flpl Abt 9    (ALP-Hunter)
01.06.1978 Alpnach N8 Flpl Abt 9    (ALP) Start 6 Hunter ab Autostrasse
06.05.1980 Aigle-Bex N9 Flpl Rgt 1    (RAR, TUR, SIO 36 Hunter)
24.03.1982 Münsingen N6 Flpl Rgt 2    (MEI-Hunter und Tiger, INT-Hunter)
15.10.1985 Flums N13 Flpl Abt 8    (AMB, MOL-Hunter, ALP-Tiger)
29.09.1988 Alpnach N8 Flpl Abt 9    (ALP) Start 12 Tiger ab Autostrasse
16.11.1988 Sion N9 Flpl Abt 4    (SIO) Start 8 Tiger ab Autobahn
14.11.1991 Lodrino (TI) N2 Flpl Abt 8    (AMB, MOL-Hunter, ALP-Tiger)

asd

Die sechs Notstützpunkte der Flugwaffe auf dem Nationalstrassennetz fielen dem Rotstift der Armeereform 95 (A95) zum Opfer. In der Nähe von Visp war auf der N9 ursprünglich ein Notstützpunkt geplant, wurde aber nicht rea­lisiert. Der Verzicht auf den Erdkampf 1994 und die Ausserdienststellung der Hunter, sowie die Beschränkung der Luftwaffe auf die Luftver­teidigung machten es unwahrscheinlich, dass sich noch jemals Bedarf an solchen Ausweichflugplätzen stellen könnte.

Die sich im Bau befindliche N1 neben dem Flugplatz Payerne wäre schon 1997 für eine „Notlandeübung“ bereit gewesen (der Abschnitt wurde erst 2001 dem Verkehr übergeben). In der Nähe des Unterstandes U40 war dieses Teilstück sogar mit den Rollwegen des Flugplatzes verbunden. Aber eben: mit der A95 war das nicht mehr gefragt.

Text: Rudolf Wicki, Fotos: René Zürcher und (c) VBS

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