– 17.06.2019 –
Ein “FIESELER STORCH” landete am 8.Mai 1945 in Chur, auf der Flucht aus Ungarn kommend
Der damals 11 jährige Bub aus Chur, Reto Salzborn, späterer Militärpilot und bis Ende 1992 Chef des Flugplatzes Locarno/Magadino, erlebte die Landung dieses Flugzeuges hautnah.
Reto Salzborn berichtet: Endlich ist der Zweite Weltkrieg zu Ende. Kurz vor 17.30 Uhr läuten in Chur die Kirchenglocken den Frieden ein, fertig der Aktivdienst für unsere Armee und für meinen Vater. Eine graue, hohe Wolkendecke am Himmel, die Berge überall sichtbar. Plötzlich sehen wir Buben der Nordstrasse ein Flugzeug am Himmel, es ist im Sinkflug und landet voraussichtlich auf der Rheinwiese (die Stadt hörte damals unterhalb der “Busch-Wagenfabrik” praktisch auf).
Nichts wie los, wir fahren mit unseren Velos in Richtung Rhein und schon sehen wir von weitem das Flugzeug, einen “Fieseler Storch” mit Hakenkreuz, dunkelgrün bemalt, bei der Landung. Nach dem Ausrollen kommt der Motor zum Stehen, der Pilot öffnet die Kabinentüre und ruft uns Buben zu: „Wo sind wir?“.
Wir können ihn beruhigen: „In Chur, in der Schweiz!“
Die drei Insassen werfen zwei Maschinenpistolen auf die Wiese, steigen aus und jeder trinkt ein Ei aus ihrem Notvorrat. Der Storch ist ein Doppelsitzer, sie schafften es zu Dritt, das Flugzeug in Ungarn zu stehlen, der Pilot (war Sportflieger) Infanterist und weilte als Knabe einmal in Arosa im Sanatorium, daher sein Ziel, Chur, nahe des Kurorts gelegen. Navigatorisch und fliegerisch eine gewagte Flucht, sicher nur möglich im Chaos der letzten Kriegstage.
In der Zwischenzeit waren diverse Leute und ein Polizist mit seinem Fahrrad angekommen, dieses lehnte er am stoffbezogenen Rumpf des Flugzeuges an, und schon hatte der Velobremshebel ein kleines Loch verursacht. Er begann mit einer Befragung der Besatzung und bald traf auch die Militärpolizei ein, die drei wurden interniert und wir bestaunten das Flugzeug. Dieses verblieb an Ort und Stelle, am folgenden Tag überflog Oberst Högger aus Dübendorf den Storch via Plarena/Ems auf den wichtigen Flugplatz der Flugwaffe (mein späterer Arbeitsort).
Nie hätte ich als 11- jähriger gedacht, einmal Militärpilot zu werden und sogar mit dem gleichen Fieseler Storch zu fliegen. Dankbar denke ich an diesen Friedenstag zurück, insgeheim vielleicht ein entscheidendes Erlebnis für meine Berufswahl?
Das Flüchtlingsflugzeug im Einsatz bei der Schweizer Luftwaffe
Die Schweizer Luftwaffe hatte bereits ab 1939 und später vier “Fieseler Storch” vom Typ Fi-156 im Einsatz. Diese waren mit den Nummern A-96 bis A-99 gekennzeichnet. Das Flüchtlingsflugzeug wurde 1944 von Fieseler-Flugzeugbau GmbH, Werk Waldau, in Deutschland hergestellt und erhielt bei uns die Immatrikulation A-100, es wurde danach von der deutschen Luftwaffe abgekauft.
Infolge Alterung wurde der A-100 1963 ausser Betrieb gesetzt und dem Fliegermuseum abgegeben.
Zahlreiche Gebirgs- und Rettungseinsätze
Die “Fieseler Storch” wurden in der Schweiz von 1940 bis 1963 vielseitig eingesetzt. Weltbekannt wurden 1946 die Rettungseinsätze auf dem Gauligletscher (3200 m ü. M.), als mit zwei Flugzeugen vier Besatzungsmitglieder und acht Passagiere einer auf dem Gletscher notgelandeten, amerikanischen C-53 (Militärversion der DC-3) ausgeflogen werden konnten. Diese Aktion, welche ab dem Flugplatz Meiringen erfolgte, galt bekanntlich weltweit als erste Gebirgslandung und -rettung mit Flugzeugen.
Wie kamen die Flüchtlinge auf die Idee in die Schweiz zu flüchten?
Einer der Flüchtlinge, namens Hill, war während des Krieges in Ungarn im Einsatz mit höheren deutschen Offizieren. Wie sollte es nun nach dem Krieg weitergehen? Niemand unter seinesgleichen wusste Bescheid. Kurz entschlossen entschied er sich für die Flucht mit seinem Flugzeug. Als Ziel hatte er sich die Schweiz vorgenommen, welche er schon gut kannte. Er wollte nach Davos fliegen, um dort seine damals angeschlagene Gesundheit auskurieren zu lassen.
Hill überzeugte zwei seiner Dienstkameraden davon, die Flucht mit ihm in Angriff zu nehmen. So bestieg er mit diesen zusammen sein Flugzeug. Es konnte losgehen! Allgemeine Richtung Schweiz.
Hill besuchte vor etwa 17 Jahren unser Museum im Alter von 88 Jahren. Zufälligerweise gelangte er damals an mich. Er war sehr krank und wohl deshalb in Begleitung von zwei Verwandten. Sein Wunsch war es, das Flugzeug A-100 noch einmal zu sehen. Warum? Er erzählte rückblickend eine lange Geschichte über ihn und das Flugzeug. Die ihm ermöglichte Kur in Davos sei erfolgreich gewesen. Die Höhenklinik habe ihm dafür eine ordentliche Rechnung gestellt. Da er aber keinen Rappen besass, weigerte er sich, diese zu begleichen – er habe ja schliesslich auch ein Flugzeug in die Schweiz gebracht. Zu guter Letzt sei man sich aber doch noch einig geworden.
Text: Felix Zbinden / Bild: Archiv MHMLW